Die rheinland-pfälzische Neonaziszene richtet sich, abgesehen vom Landesverband der NPD (siehe DRR Nr. 112), weniger an ihrer Zugehörigkeit zu Rheinland-Pfalz aus, sondern eher an Neonazistrukturen der angrenzenden Bundesländer. Dies lässt sich exemplarisch an den drei Strukturen in Rheinland-Pfalz zeigen, die sich derzeit als »Aktionsbüros« bezeichnen.
»Aktionsbüro Rhein-Main-Nahe«
Laut seiner Internetseite besteht das »Aktionsbüro Rhein-Main-Nahe« (AB Rhein-Main-Nahe) aus sieben Gruppen, die aus Mainz, dem rheinland-pfälzischen Rheinhessen, Wiesbaden und den hessischen Gebieten des Rheingaus sowie des Vordertaunus kommen. Zwei der Gruppen sind Kreisverbände der NPD und bis auf die »Nationalen Sozialisten Mainz-Bingen« (NaSo Mainz-Bingen) kommen alle aus Hessen. Man kann aber davon ausgehen, dass es sich hier lediglich um lokale Ansprechpartner handelt; das AB Rhein-Main-Nahe ist sicher kein Aktionsbüro im Sinne einer Koordinationsstelle verschiedener, voneinander unabhängiger und eigenständig aktiver Kameradschaften. Es ist vielmehr ein Label für eine Gruppe, die Mario Matthes, Führungskader des AB Rhein-Main-Nahe, im Laufe der Zeit um sich scharen konnte. Auf Matthes ist auch die Internetseite des Aktionsbüros angemeldet.
Während der Mainzer Kreisverband der NPD seit Matthes Wegzug nach Niedernhausen bei Wiesbaden und dessen faktischer Übernahme des NPD-KV Wiesbaden/Rheingau-Taunus öffentlich nicht mehr in Erscheinung tritt, existieren die NaSo Mainz-Bingen unvermindert fort. Sowohl ihre von Matthes selbst betriebene und weiterhin aktualisierte Website, als auch ihre Präsenz bei Aufmärschen, etwa am 12. Juli 2008 in Bonn, zeugen davon.
Nichtsdestotrotz macht es den Eindruck, das Label NaSo Mainz-Bingen werde von Matthes mehr um seiner Bekanntheit willen, denn als effizient funktionierende Gruppe beibehalten: Die NaSo scheinen neben wenigen gefestigten Neonazis stark aus freizeitorientierten Rechten zu bestehen, die sich unter diesem Gruppennamen sammeln.
Mit dem AB Rhein-Main-Nahe gibt es nun auf den ersten Blick eine weitere Neonazistruktur in der Region. AB Rhein-Main-Nahe jedoch ist vermutlich lediglich der neue Name für den Neonazi-Zusammenhang von Einzelpersonen, der in der Region Mainz/Wiesbaden existiert und dessen lokaler Kontakt in Rheinhessen die NaSo sind. An der Spitze dieses Zusammenhangs steht zweifelsfrei Matthes, mit dem die Aktivitäten stehen und fallen. Dennoch hat sich die Aufbauarbeit des Reisekaders Matthes ausgezahlt. Wo in Mainz und Wiesbaden vorher kaum eine Neonazi-Szene existierte, gibt es nun einen recht festen Zusammenhang, der auch aktionsfähig ist. Dies zeigt sich z. B. an den sprunghaft gestiegenen Aktivitäten des Wiesbadener NPD-KV. An dessen mit 70 Gästen gut besuchter Saalveranstaltung mit dem Ex-»Republikaner« Björn Clemens am 29. März 2008 in Mainz-Kostheim, das administrativ zu Wiesbaden gehört, nahmen beispielsweise auch diverse Neonazis aus Mainz und Rheinhessen teil.
In den letzten drei Monaten sind die Aktivitäten der regionalen Neonaziszene etwas erlahmt. Hintergrund ist vermutlich ein Prozess gegen Matthes, der am 11. August stattfand. Im Januar 2008 hatte der Student der Uni Mainz auf dem Campus einen Kommilitonen beleidigt, bespuckt und zusammengeschlagen, nachdem er ihn als Teilnehmer einer antifaschistischen Kundgebung wiedererkannt hatte. Das Amtsgericht Mainz verurteilte Matthes wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten, ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung. Wenn das Verfahren tatsächlich der Grund für die Beruhigung der Aktivitäten gewesen ist, dann wird es auch in den nächsten Monaten ruhig bleiben. Denn in Wiesbaden steht ein weiteres Verfahren gegen Matthes an: Bei einer Neonazi-Kundgebung in Wiesbaden-Erbenheim im Mai 2007 hatte er einem Gegendemonstranten Zähne ausgeschlagen und den Kiefer gebrochen.
»Aktionsbüro Rhein-Neckar«
Das im August 2003 gegründete »Aktionsbüro Rhein Neckar« (ABRN) war lange Zeit ein Aktionsbüro im klassischen Sinn. Schon zu Beginn gehörten dem ABRN diverse, sehr aktive Kameradschaftsstrukturen aus dem Dreiländereck Hessen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz an. Dazu zählten unter anderem die »Kameradschaft Vorderpfalz«, die »Kameradschaft Bergstrasse« und die Gruppe »Neues Mannheim«. Bedingt vor allem durch Kameradschaftsfusionen, -auflösungen oder -umbenennungen kam es im Laufe der Jahre immer wieder zu Fluktuationen in der Zusammensetzung der Mitgliedsgruppen.
Mitte 2006 änderte sich die Selbstdefinition des ABRN. Demnach wird das Aktionsbüro auf »Initiative einzelner Aktivisten betrieben«, Projekte werden »selbstständig von den jeweiligen Projektverantwortlichen geleitet« und die »regionalen Kameradschaften und Gruppierungen sind nicht Bestandteil oder Untersektionen des Aktionsbüro Rhein-Neckar«. Diese Umstrukturierung ist sicherlich einerseits aus einer geänderten Strategie, aber auch aus der damaligen Angst vor staatlichen Repressionen heraus entstanden.
Als zentrale Kommunikations- und Informationsplattform nutzt das ABRN das Ende 2005 gestartete »infoportal24«. Auf der Internetseite erscheinen fast täglich Berichte, Kurzmeldungen, Termine oder Stellungnahmen der südwestdeutschen Neonaziszene.
Zu den Projekten des ABRN gehört neben dem »Nationalen Schulungszentrum« in Kirchheim bei Grünstadt (s. DRR Nr. 112) eine kontinuierliche Aufmarschpolitik. Dies beinhaltet Doppelaufmärsche zum 1. Mai und um das erste Oktoberwochenende, die seit 2005 regelmäßig in der Rhein-Neckar-Region stattfinden. Zuletzt nahmen am 1. Mai 2008 etwa 300 Neonazis an Aufmärschen in Kaiserslautern beziehungsweise Neustadt an der Weinstraße teil. Auch für kurzfristige Aktionen hat das ABRN eine gewisse Mobilisierungsfähigkeit. Nach dem Tod des in der Nazi-Szene zum Märtyrer stilisierten Kevin P. am 4. April 2008 in Stolberg bei Aachen organisierte das ABRN am 6. April zwei Kundgebungen in Ludwigshafen und Mannheim. Dafür konnten etwa 100 Neonazis aus dem Südwesten mobilisiert werden. Anmelder der Kundgebungen war René Rodriguez-Teufer aus Viernheim, der zugleich ein zentraler Kader des ABRN ist. Rodriguez-Teufer weist eine langjährige Karriere in der extremen Rechten auf, die von »Wiking Jugend« über FAP bis hin zu Kameradschaftsszene und NPD reicht. Ein weiterer wichtiger Kader des ABRN ist Matthias Hermann aus Ludwigshafen, Führungskader der »Kameradschaft Kurpfalz«, der oft als Redner bei Kundgebungen auftritt. Neben Rodriguez-Teufer und Hermann spielt Christian Hehl eine gewichtige Rolle im ABRN. »Hehli«, der wie Rodriguez-Teufer seit Jahren in diversen neonazistischen Organisationen tätig ist, steht auch für die Zusammenarbeit von NPD und Kameradschaftsszene in der Region. In den letzten Monaten ist Hehl allerdings in ungewohnter Rolle in Erscheinung getreten: Als Mitglied der »Ersthelfer«, eines neu gegründeten »nationalen Sanitätsdienstes«, nahm er an verschiedenen neonazistischen Veranstaltungen teil.
»Aktionsbüro Mittelrhein«
Im nördlichen Rheinland-Pfalz waren nennenswerte Neonazistrukturen lange Zeit kaum vorhanden. Eine Ausnahme bildete die »Kameradschaft Westerwald« (KS WW), welche im Jahr 2005 vom Landgericht Koblenz als kriminelle Vereinigung nach §129 eingestuft wurde. Im Zuge mehrerer Prozesse mussten sich an die 40 Neonazis vor Gericht verantworten. Neben Geld- und Bewährungsstrafen endete das Projekt KS WW für einige Mitglieder mit einem Gefängnisaufenthalt.
An die Region Westerwald angrenzend existiert im Norden von Rheinland-Pfalz mit dem »Aktionsbüro Mittelrhein« (AMR) eine recht neue Struktur der organisierten Naziszene. Der klassische Fall eines Aktionsbüros, also die Vernetzung von Kameradschaften einer Region, ist auch beim AMR so nicht gegeben. Vielmehr ist das AMR ein (erweitertes) Nachfolgeprojekt der »Aktionsfront Mittelrhein«, die 2004 erstmals in Erscheinung trat. Neben der Teilnahme an neonazistischen Aufmärschen, u. a. beim Hess-Marsch in Wunsiedel 2004 und kleineren lokalen Verteilaktionen, fungierte die Aktionsfront auf der Homepage des so genannten »Projekt Schulhof – Anpassung ist Feigheit« als Ansprechpartner für die Region Koblenz. Exponiertester Vertreter der AMR war Sven Lobeck aus Koblenz.
Der 31-jährige Lobeck konnte aufgrund seines beruflichen Werdegangs erst relativ spät öffentlich als neonazistischer Kader auftreten: Er war Zeitsoldat und Unteroffizier der Bundeswehr. Bei der rheinland-pfälzischen Landtagswahl 2006 kandidierte Sven Lobeck neben Rodriguez-Teufer und Matthes als einer von drei Repräsentanten der freien Kameradschaften auf der NPD-Landesliste. In einer Selbstdarstellung der Kandidaten bezeichnete sich Lobeck als »Betreiber des Aktionsbüros Mittelrhein«. Seitdem ist von der »Aktionsfront Mittelrhein« nichts mehr zu vernehmen. Deutlich wird die kontinuierliche Weiterführung nicht nur durch die in der Öffentlichkeit in Erscheinung tretenden Personen, sondern auch durch das Wiederverwenden von Transparenten, auf denen lediglich der Name übermalt wurde. Seit Juli 2007 ist das AMR mit eigener Homepage im Internet vertreten. Neben Aufmarsch-Berichten und diversen Kurzmeldungen sind auf der aktuell gehaltenen Internetseite unter anderem Vorlagen für Sprühschablonen zu finden, die in Kleinstädten nördlich von Koblenz schon für neonazistische Sprühereien verwendet wurden. Auf lokaler Ebene bestehen enge Verflechtungen zwischen dem AMR und dem NPD-Kreisverband Koblenz, dessen Vorsitz Sven Lobeck mittlerweile innehat. Überregional existieren zwar Verbindungen zu den südlich gelegenen Organisationen wie ABRN und AB Rhein-Main-Nahe, doch ist eine stärkere Orientierung in Richtung südliches NRW zu beobachten. Es sind die erfahrenen Kader der nordrhein-westfälischen Neonaziszene, wie Christian Malcoci, Sven Skoda und Ralph Tegethoff, die bei der Organisation der jährlichen Aufmärsche für den Wiederaufbau eines Waffen-SS-Denkmals in dem rheinland-pfälzischem Dorf Marienfels die Fäden in der Hand halten. Bei den Doppelaufmärschen im Mai 2006 in Marienfels und Koblenz beziehungsweise im November 2007 in Nassau und Nastätten war das AMR jedoch stark in die Organisation involviert. Bei etlichen überregionalen Aufmärschen sind es vor allem die Strukturen um die Kameradschaft »Sturm 08/12« aus der Region Bonn, die gemeinsam mit dem AMR in Erscheinung treten.
Aktuell zeigte sich die Kooperation am 12. Juli 2008 in Bonn. An diesem Tag marschierten circa 230 Neonazis »Für Meinungsfreiheit« und »gegen staatliche Zensur« zur Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Im Vorfeld war es in erster Linie das AMR, welches sich für die Mobilisierung verantwortlich zeigte. Am Aufmarschtag selbst lag die Verantwortung und Leitung allerdings bei der alten Garde der rheinländischen Naziszene um Malcoci und Skoda. Immerhin schmückte eines der AMR-Transparente den Lautsprecherwagen: Ein gelbes Laken, versehen mit einem Davidstern und der Inschrift »Nazi«. Mit dieser Bezeichnung wäre dann, trotz unterschiedlicher regionaler Orientierungen und Zugehörigkeiten, zumindest eine Gemeinsamkeit der rheinland-pfälzischen Kameradschaftsszene gefunden.
Jens Büttner und Tobias Hoff
Erschienen in Der Rechte Rand | Nummer 114 | September/Oktober 2009