Einige Anmerkungen zu der im Jahre 2005 aufgelösten Kultband Böhse Onkelz
Die Frage ist in Diskussionen über rechte Musik so sicher wie das Amen in der Kirche: »Darf man Böhse Onkelz hören?« Oft ist es die Lehrerin, die zwar »keine Rechten« in der Klasse hat, aber Onkelz-Fans. Sie kann beruhigt sein: Man darf heute Onkelz hören, bzw. man muss Onkelz hören dürfen. Schließlich seien die Texte nicht mehr neonazistisch, die Band habe sich davon distanziert, und wer will den Zensor und Spaßverderber spielen und mit moralisch erhobenem Zeigefinger vor einer Popband warnen?
Von Rechtsaußen in die Mitte
So dröhnen die Onkelz heute durch Sturmkneipen neonazistischer No-go-Areas, durch soziokulturelle Zentren und durch das kulturbewanderte Publikum bei der Verleihung diverser Musikpreise, für die die Onkelz in den letzten Jahren nominiert waren. Man kann mit Onkelz-Shirt durch Berlin-Kreuzberg gehen, aber auch zum Kameradschaftsabend oder auf eines der ›Anti-Rassismus-Festivals‹, auf denen die Onkelz dann und wann auftraten. Die Idee, den Einfluss der Band zu nutzen, um ›Jugendliche vom Rechtsextremismus wegzubekommen‹ wurde um 1993 von Daniel Cohn-Bendit (Grüne) hoffähig gemacht. Der schleifte Bandleader Stephan Weidner ins Frankfurter Kulturamt, wo die beiden vom Konzertveranstalter Marek Lieberberg allerdings die Köpfe gewaschen bekamen. Weidner ist ein Medienprofi und sein Erfolgsrezept ist, immer so zu tun, als wäre er keiner. Zielsicher fabuliert er über das ›Leben auf der Straße‹ und fängt die Leute mit seiner Authentizität ein. So auch Alice Schwarzer, bei der er 1993 zum Interview antrat.
Es kam, wie es kommen musste: Seine rotzig-trotzige Art und sein doch so verletzlich wirkender Machismo brachte Schwarzer dazu, das Bild des großen Jungen mit der rauhen Schale und dem weichen Kern zu zeichnen: »Jungs, die es schwer hatten«, die »mal Scheiße gebaut haben«. Die Emma-LeserInnen waren gerührt und die Onkelz-Fans konnten einen Artikel mehr in ihre Sammlung heften, indem es Weidner allen gezeigt hat.
Der Popkultur-Fachautor Klaus Walter hat das schlimme Wort ›Rechts-Anarchisten‹ für die Onkelz kreiert. Zumindest was die Anfangsjahre der Band betrifft hat er recht. Die Band ist ein Produkt des Frankfurter Milieus der späten 1970er Jahre, einer Zeit und einer Stadt, in der alles furchtbar liberal wurde. Die Hippies waren in die Institutionen marschiert und die Eltern wollten die FreundInnen ihrer Kinder sein. Harte Zeiten für rebellische Attitüden. Punk war Provokation, doch wie lassen sich Leute provozieren, die selbst die derbsten Ausdrücke und Frisuren ganz dufte finden? Da mussten Hitlergruß und Hakenkreuz her. Das Frankfurt der frühen 1980er Jahre war die Stadt der Nazipunks, und die waren der Nährboden für Bands wie die Onkelz. Als die (Neonazi-)Skinwelle nach Frankfurt schwappte und etliche Punks sich die Haare abrasierten, waren die Onkelz ganz vorne dabei. Nach einigen Dienstjahren als Pioniere für den Neonazirock beschlossen sie, Rockstars zu werden. Dann und wann, ab ca. 1988, wenn ›alte‹ Geschichten aufgewärmt wurden, begannen sie sich von ihren ›alten‹ Liedern, ihren »Jugendsünden« (Weidner), zu distanzieren. Gleichzeitig wurden Index und Boykott zu Werbeträgern für ein Underground- und Underdog-Image. Die eigentlich teils aus dem Taunus und Aschaffenburg kommenden ›Frankfurter Jungs‹ wurden schließlich Rockstars und eröffneten einen kulturellen Straßenmarkt mit Selbstbedienung. Ob Proll, Rocker, Heavy Metal, Hooligan oder Neonazi – uniformiert mit einem B.O.-Tour-Shirt verschwimmt alles zu einer ganz eigenen Ästhetik und Identität. Sie sagt uns, dass die ganze Welt unser Feind ist und dass die Stadt dennoch uns gehört, wenn wir vor Konzerten die Hauptbahnhöfe belagern und uns laut im Chor singend fragen »was kann es Schöneres geben als ein Onkel zu sein«. [1]
Das ›Böhse Onkelz-Lebensgefühl‹
Die Onkelz sind Pop und Polarisierung. In einer Debatte um die Onkelz kann man nahezu nichts richtig machen. Das Thema zu vermeiden, bedeutet die antifaschistischen Jugendlichen zu verprellen, die völlig zu Recht wissen wollen, warum die meisten ihrer ›Schul-Faschos‹ in einer Frühphase als Onkelz-Fans rumgelaufen sind. Genau diese Frage ist tatsächlich sehr interessant: Wie kann es sein, dass eine Band, die sich vom Neonazismus distanziert, die auf Anti-Rassismus-Festivals spielt, quasi als ›Einstieg‹ in ultrarechte Kreise funktioniert?
Die Onkelz als eine ›rechte Scheißband‹ zu bezeichnen, führt zu entrüsteten Onkelz-HörerInnen, die nicht in irgendwelche Schubladen gepackt werden wollen. Der Versuch ›rechts‹ als nicht gleich ›neonazistisch‹ zu beschreiben und zu erklären, dass ›rechts sein‹ nicht nur eindeutige politische Statements beinhaltet, sondern sich auch als Lebensgefühl definiert, führt zu verständnislosen Blicken derer, die sich sonst immer auf ihr ›Gefühl‹ berufen. Ein ›rechtes Lebensgefühl‹ definiert sich nicht nur über Wir-Identitäten aus Macht und Masse. Diese finden sich mehr oder weniger ausgeprägt auch in anderen Jugendkulturen und sozialen Bewegungen. Es ist darüber hinaus die Konstruktion gesellschaftlicher Ausgrenzung, einhergehend mit der Heroisierung von Gewalt, des Sich-Wehren-Müssens, einem verabsolutierten Freund-Feind-Dualismus und permanenter Selbststilisierung, die TäterInnen zu Opfern erklärt. Wenn dahinter das deutsch-nationale Ausrufezeichen gesetzt wird, dann ist die Affinität zu extrem rechten Denkmustern weitgehend hergestellt. Dies wird gekoppelt mit einer Musik, die nach Schema F funktioniert. Dort herrscht Klarheit. Überraschendes, Verstörendes findet nicht statt. Die oft langsameren und weinerlichen Strophen verteilen die Schuld gleichmäßig auf alle, die nicht zu ›uns‹ gehören. Der brachiale Refrain bricht das Klagelied auf, gibt den Konsens »Jetzt erst recht« aus und reißt die Zweifelnden und Zögernden mit. Die wiederkehrenden Sequenzen, in denen von ›Onkelz‹ und ›Wir‹ die Rede ist, sind explizit zum Mitgrölen und Fäuste-Recken gemacht.
Die Weisheiten der Böhsen Onkelz
Wer sich im ›Hinterland‹ auf die Suche nach ›überzeugten‹ jungen Böhse Onkelz-Fans macht, trifft in der Regel keine Neonazis. Oft sind es sogar irgendwie sympathische VerliererInnen, die den Fuß nicht aufs Trittbrett gekriegt haben, als es darum ging, die Welt zu ergründen. Auch ihre Onkelz-Fanclubs scheinen keine soziale Netzwerkfunktion zu haben. Was ist Spaß? ›Mit Kumpels rumhängen und Onkelz hören.‹ Die selbst gewählte Tristesse wird als ›viel‹ empfunden, die eigene Gruppe und das Feindesland bieten Selbstvergewisserung und Orientierung. »Ich will, dass ihr mich hasst, denn eure Feindschaft macht mich stolz.« [2] Tatsächliche Antworten auf schwierige Fragen zu suchen – auf dieser Ebene bewegt sich keine schlichte Straßenweisheit. So singen die Onkelz von einem Leben, das jeder kennt, oder zumindest glaubt, zu kennen. Der alltägliche, todlangweilige Normalzustand wird mit Pathos zubereitet, mit Mythen umhüllt und erscheint auf einmal als pralles Leben. Sie geben das Gefühl, selbst in schlichtester Doofheit etwas Besonderes zu sein. Sie erzählen Geschichten von Verlierern, die in Wahrheit Gewinner sind bzw. es irgendwann sein werden. »Die Stunde des Siegers schlägt für jeden irgendwann.« [3] Das sind keine leeren Sprüche. Du siehst es bildlich vor dir, dass selbst die einst größten Deppen Frankfurts ›es geschafft‹ haben und heute mit den finstersten Rocker-Präsis auf Du stehen. »Das Leben war nicht immer, nicht immer gut zu mir, Licht und Schatten stehen gemeinsam vor der Tür.« [4] Auf Schatten folgt Licht, auf Regen folgt Sonnenschein. Fast schon Philosophisches aus dem Hause Weidner.
Der typische Vertreter seiner Zunft ist eben kein ›Kind der Straße‹, eher ein Langeweiler aus stinknormalen Verhältnissen, für den der Patch des Onkelz-Fanclubs die Bescheinigung seines ganz persönlichen Ausbruchs, sein Rebellen-Ausweis, ist. Einer, der mit verklärtem Blick auf ›die Straße‹ sieht, auf all die imaginären Schlachten, die ihn zum Mann machen werden – und der zutiefst dankbar darüber ist, dass der individuelle Ausbruch postwendend zum Marsch in eine grölende, sinnentleerte Masse wird. Außer Wir-Gefühl wird dort nichts geboten, aber er wird dort nicht gefordert werden. Es braucht keine Eigeninitiative, keine Kreativität, keine Sinnsuche, um dabei zu sein. So funktionieren die Onkelz als rezeptfreie Antidepressiva für postpubertäre Komplexe und Machophantasien. Sie erzählen alles, was du hören willst, und haben nichts zu sagen. Sie sprechen einen ganz persönlich an und labern gleichzeitig eine anonyme Masse zu. So wird Streetcredibility gemacht. Schlichte Aussagen für das schlichte Gemüt, das System Böhse Onkelz ist lächerlich einfach.
Feindbestimmung
Gegen wen geht es außer gegen GegnerInnen des deutschen Fußballs oder Antifaschistlnnen, die angeblich nicht besser sind als FaschistInnen »Gegen euch und eure Staatsgewalt.« [5] Doch wer kann schon die Staatsgewalt leiden und wer ist ›euch‹? Sind es die Liberalen, die Rechten, eine halluzinierte jüdische Weltverschwörung? Nichts wird gesagt, also kann man sich was aussuchen. Wer ist noch fies zu ›uns‹ außer den ›euchs‹ und der Staatsgewalt? Die Medien natürlich: »Glaubt nicht ihre Lügen.« [6] Mit derartigen Pappschild-Parolen hampeln die Neonazis über den Kartoffelacker und auch linke Blätter würden es kaum anders ausdrücken. Was die Onkelz sind außer Böhse Onkelz, was sie eigentlich wollen außer ›Onkelz‹ sein und »tun was uns gefällt« [7], das bleibt im Dunkeln. Das ist das Erfolgsrezept. Die Frage ist jedoch nicht die, wie dieses Blabla interpretiert werden kann, sondern wie es interpretiert wird. Vor welcher Inszenierung findet es statt? Welche Ästhetik ist damit verbunden? Wer ist die Zielgruppe? Und vor allem: Welche gesellschaftlichen Utopien sind daran gekoppelt? Womögich keine? Dann wird es schwer, jemanden zu finden, der das Geschwafel für sich fortschrittlich interpretiert. »Die Ironie mit der wir spielen, die ihr so schwer versteht« [8] – Nächste Variante: Alles halb so wild, ist alles nur spaßig gemeint. Das Problem daran: Keiner versteht es – weder ›wir‹ noch ›ihr‹.
Harte Probe für den extrem rechten Fankreis
Das bekannte Onkelz-Anti-Totalitarismus-Lied Ohne mich von 1998 war kein wirklich ernsthafter Versuch, Licht ins Dunkel zu bringen, obgleich Textzeilen wie »Ich hasse euch und eure blinden Parolen« außergewöhnliche Schärfe zu haben schienen. Im ersten Teil des Liedes wird inhaltlich flach gegen die »Antifa« gesungen, im zweiten Teil wird der »rechten Adresse« was auf die Fresse angeboten. [9] Interessant war deren Reaktion. »Was haltet ihr von der neuen Onkelz-CD?«, fragte die Frankfurter Neonazigazette Bembelsturm zwei Neonazibands. »Man kann sie mögen oder auch nicht, aber die sind halt verdammt gut, Schade nur, dass Sie es immer wieder nötig haben ihre Alibilieder zu bringen und wohl doch nicht so geradeaus zu sein scheinen!!!« [10] meint die Gruppe Reinheitsgebot. Verdammt gut? – O.K. der Geschmack von Neonazis ist kein Kriterium, aber die Onkelz scheinen »wohl doch nicht so geradeaus zu sein«. Erkenntnisse von Neonazis im Jahr 1999. Der Frontmann der Neonaziband Ruhrstörung hat »natürlich auch die neue der Frankfurter Bastarde« und geht mit ihr härter ins Gericht: »Onkel Weidner hätte sich ruhig eins der Lieder sparen sollen. Meiner Meinung nach wird sie noch Ärger nach sich tragen.« [11] Oho, ist Ärger im Busch? Werden die Neonaziskins das nächste Onkelz-Konzert auseinander nehmen? Spaß beiseite, das werden sie schon alleine wegen der Hells Angels-Security nie wagen. Da wird kurz mal aufgeplustert und ein paar Seiten später ist die Luft schon wieder draußen. »Ich finde das Lied auch nicht sonderlich gut, aber mich betrifft es nicht, denn ich schreie keine sinnlosen Parolen« meint Bembelsturm-Herausgeber Patrick Prokasky, der den Text nicht mal richtig gelesen hat, in seinem Erlebnisbericht über das Onkelz-Konzert in der Frankfurter Festhalle 1999. Und der Groschen fiel durch die weiten Gaue des Reiches. Es ist die Person Prokasky, die diese Anekdote würzt: In Frankfurt der Inbegriff neonazistischer Dummheit und doch war er derjenige, der die Textzeile als erster zu interpretieren wusste. Die anderen Kameraden hatten offenkundig schon verinnerlicht, dass ihre Parolen ›blind‹ sind.
Freund oder Feind?
Ach ja, die Faschos: Der eine Teil der Neonazis beschimpft die Onkelz als Verräter, der andere Teil rennt fleißig auf die Konzerte. Da wird die Politik mal außen vor gelassen, um alte KameradInnen zu treffen, über alte Zeiten zu klönen und um sich über den Rest der Fans, laut Prokasky »verpickelte Teenies«, lustig zu machen. Und um im Untergeschoss des Frankfurter Hauptbahnhofs Hassgesänge gegen Hippies, Punks und die Toten Hosen anzustimmen, die an faschistischer Wortwahl nichts zu wünschen übrig lassen. Die Anzahl derer, die über die ›Verräter‹ schwadronieren und dann doch aufs Konzert rennen, dürfte dabei ähnlich hoch sein, wie die Anzahl ›völlig unpolitischer‹ verpickelter Teenies, die in die unterirdischen Hassgesänge einstimmen. Das, was sich intern voneinander abgrenzt, konstruiert sich augenblicklich als homogene Einheit, wenn ›Außenstehende‹ dazu stoßen: PassantInnen oder gar ein Fotograf (»Judenpresse auf die Fresse«), der es wagt, das Schauspiel auf Bild festzuhalten. »So sind wir«. Beim Böhse Onkelz-Supporter-Treffen 2001 in der Jahrhunderthalle in Höchst, gibt es die Onkelz zum Anfassen, Fans fragen, Popstars antworten. Eine der Fragen ist, ob sie sich nicht mal darum kümmern wollten, dass ihre alten Lieder vom Index kommen. Die Onkelz lavieren herum: Äh, das wäre ja aufgrund der Medienhetze wohl nicht von Erfolg gekrönt. Es ist die alte Leier. Schuld sind immer die anderen, eigene Schuld oder wenigstens Verantwortung gibt es nicht. Was nicht mal annähernd kommt, ist die Ansage: »Wir verzichten darauf, die Lieder vom Index zu holen, weil wir die Lieder nicht mehr spielen, weil die Lieder Scheiße waren und Scheiße sind.« Es wäre auch gelogen. Schließlich haben sie knapp zwei Jahre zuvor per Antrag versucht, die ›alten‹ CDs vom Index zu kriegen. Am Ende sind alle zufrieden: »Alles in allem war es eine tolle Veranstaltung«, resümiert ›Ariovist‹ im Neonazimagazin Der Ruf nach Freiheit das Event. [12] Einen Moment lang herrschte jedoch Aufregung in der Neonaziszene. Ausgerechnet Sänger Kevin Russell, extrem rechter Frontmann vergangener Zeiten, der einst durch Sprüche wie »auch wenn ich Engländer bin, ich bin stolz darauf, Deutscher zu sein« zum running gag avancierte, soll bei einem Konzert einen NPD-Flugblattverteiler höchstpersönlich verprügelt haben. Verwirrung ist angesagt bei den stramm rechten Onkelz-Fans und, ehrlich gesagt, auch bei uns. Russell verhaut Faschos? Er, der 1998 dem Blood & Honour-Neonazi Michael H., der Ärger mit seinen Kameraden bekam und aus Offenbach wegziehen musste, eine Bleibe in seiner Hinterhof-Wohnung in der Frankfurter Ostendstraße bot, aus der dann der Skrewdriver-Sound zuweilen bis auf die Straße dröhnte? Doch Russell singt es selbst: »Nichts ist für die Ewigkeit, nichts bleibt wie es war, nur vier Jungs aus Frankfurt sind schon lange, lange da.« [13] Ein kritischer Rückblick auf die eigene Geschichte? Mitnichten. Die Vergangenheit wird von der Band akzeptiert als ein Teil ihrer selbst. Neonazismus wird in unseliger Sozialarbeiter-Tradition als pubertäres Über-die-Stränge-Schlagen verharmlost und zwischen den Zeilen kokettiert man damit und gibt zu verstehen: »Wir waren richtig hart drauf« und schränkt ein »wohl ein bisschen zu hart«. Die ›alten‹ Lieder sind Teil der Onkelz und werden Teil der Onkelz bleiben, solange die Böhsen Onkelz Böhse Onkelz heißen: Den HörerInnen liefern sie die Extraportion underground. So können Lieder wie Türken raus [14] weiter im CD-Player ›unpolitischer‹ Jugendlicher landen und Neonaziversände weiterhin Onkelz-CDs anbieten. Die Onkelz, die Boygroup für den germanischen Grobmotoriker, haben dazu stets die Achseln gezuckt und umgehend ein neues Wir-sind-wir-Liedchen gereimt.
Keine Antworten auf all die Fragen
Man kann seitenlang lamentieren, Anekdoten erzählen, sich die Haare raufen, erklären und analysieren, viel weiter wird man damit nicht kommen. Vielleicht deswegen, weil die Onkelz doch nur ein Produkt des Mainstream im vergangenheitsbewältigten Deutschland sind – und auch des Vakuums, das der subkulturelle Niedergang der Linken hinterlassen hat. Deutschpunkbands finden sich in den Feuilletons der Wochenzeitungen und in der Harald-Schmidt-Show und verkörpern das Bild des gutgelaunten und gesellschaftskritischen Berufsjugendlichen. Sie sind zwar deutsch, aber sie sind gut. Die Böhsen Onkelz hingegen sind deutsch und böse. Wie auch Rammstein oder Joachim Witt. Deutsch sein ist Trend, Böse sein ist Nervenkitzel. Das, was die Berliner Stadtzeitung Zitty über Joachim Witt schreibt, lässt sich bruchlos auf die Onkelz übertragen. Dies zu »hören und dafür verachtet zu werden, verschafft einen ähnlichen Kick wie der sonntägliche Spaziergang mit einem nicht angeleinten Kampfhund über den Kinderspielplatz: Hauptsache, irgendjemand regt sich drüber auf.« So stricken die Frankfurter Underdogs, mittlerweile Millionäre mit Wohnsitz in Irland, weiter an ihrer Legende. »Glaubst du alles, was ich sage, glaubst du, du weißt wer ich bin? Stellst du niemals Fragen, warum wir wurden wie wir sind?« [15] Die Aura des Ewig-Unverstandenen ist die Kapitalanlage, in die unbeirrt weiter investiert wird. Es ist grotesk. Denn die Fragen wurden nun schon tausend Mal gestellt – mal sachlich, mal emotional, mal ruhig, mal fordernd. Doch als Antwort gab es immer nur krudes Wir-sind-wir-Gebrabbel. Denn würden sich die Onkelz auch nur eine Minute ernsthaft mit dieser Frage beschäftigen, dann wäre dies das Ende ihres Mythos. Das allerdings wäre auch das Ende der Popband Böhse Onkelz.
Der Artikel erschien 2003 in einer längeren Fassung unter dem Titel ›Die Stoibers in der Lichterkette‹ u.a. in der Zeitschrift Swing, Nr. 118 und wurde in gekürzter Fassung unter dem Titel ›Auf ewig unverstanden‹ vom Antifaschistischen Infoblatt (AIB), Berlin, in der Ausgabe Nr. 82 veröffentlicht. Für diese Broschüre wurde der Artikel von den AutorInnen nochmals aktualisiert und mit ausführlichen Quellen versehen.
Dieser Artikel erschien im Dezember 2009 in der Publikation ›Dunkelfeld. Recherchen in extrem rechten Lebenswelten rund um Rhein-Main‹, [Hrsg.] argumente. netzwerk antirassistischer bildung e.V., Bildungswerk Anna Seghers e.V. aus Wiesbaden, Antifaschistisches Infobüro Rhein-Main. Berlin, 2009
Fussnoten
1 | So sind Wir von der CD Kneipenterroristen, 1988. Auszug: »So, so, so – So sind wir, und das ist unser Leben, was kann es schöneres geben, als ein Onkel zu sein.«
2 | Das Geheimnis meiner Kraft von der CD Viva los tioz, 1998. Auszug: »Dieses Lied macht nicht beliebt. Drauf geschissen, ja was soll’s. Ich will, daß ihr mich haßt, denn eure Feindschaft macht mich stolz. Ich hasse Kompromisse und ich hasse dich. Es gibt zu viel von deiner Sorte und das gefällt mir nicht.«
3 | Stunde des Siegers von der CD Böse Menschen – Böse Lieder, 1985. Auszug: »Die Stunde des Siegers schlägt für jeden irgendwann, für dich, für mich, für jeden irgendwann. Die Stunde des Siegers nutze sie und zeig ihnen wer du bist. Spuck ihnen ins Gesicht – ins Gesicht.«
4 | Das ist mein Leben von der CD Wir ham noch lange nicht genug, 1991. Auszug: »Das Leben war nicht immer, nicht immer gut zu mir. Licht und Schatten stehen gemeinsam vor der Tür. Das ist mein Leben,vielleicht soll es so sein. Eine Reise durch den Wahnsinn, durch Licht und Dunkelheit«
5 | Oi Oi Oi erschien auf der LP Der nette Mann und Demos. Diese LP wird, obgleich sie ausschließlich Stücke der (extrem rechten) Frühphase der Böhsen Onkelz enthält, in LP-Verkaufsbörsen im Internet im Jahre 2009 als »das meistgesuchteste Album« der Band beworben. Auszug: »Jetzt ist ein Aufruhr in unserem Land, die Kids von der Strasse ham’ sich zusammengetan. Punks und Skins ist Zusammenhalt, gegen euch und eure Staatsgewalt.«
6 | 10 Jahre von der CD Es ist soweit, 1990, Auszug: »10 Jahre Onkelz, wie man sie hasst und liebt. Hört nicht auf ihr Gerede, glaubt nicht ihre Lügen. Hirne voller Scheiße, die sich selbst betrügen. Sie haben es versucht, doch es nie geschafft. Ihre Lügen sind unsere Kraft.«
7 | Gehaßt, verdammt, vergöttert von der CD Heilige Lieder, 1992. Auszug: »Wir sind nicht von dieser Welt, wir sind Dein Wille und tun, was uns gefällt.«
8 | Nichts ist für die Ewigkeit von der CD Es ist soweit, 1990. Auszug: »Glaubst Du alles was ich sage, glaubst du, du weißt, wer ich bin? Stellst Du niemals Fragen, warum wir wurden, wie wir sind. Die Ironie, mit der wir spielen, die Ihr so schwer versteht. Der Schatten im Verstand, der in jedem von uns lebt.« Das Lied erschien 1990 zudem auf dem Sampler 6 für Deutschland, auf dem die Böhsen Onkelz zusammen mit den Neonazibands Saccara und Kahlkopf vertreten waren.
9 | Ohne mich von der CD Viva los Tioz, 1998. Auszug: »Antifa, ihr könnt mich mal, Ich lache über euch und ihr merkt es nicht mal. Ihr kämpft gegen mich, wie lächerlich, denn euren wahren Feind den seht ihr nicht. Ihr denunziert, ihr seit schlecht informiert, moralisch bankrott, dass ihr das nicht kapiert. Ihr seid blinder als blind, Pseudomoralisten, dumm und intrigant, nicht besser als Faschisten. […] Und hier ein paar Worte an die rechte Adresse: Leckt uns am Arsch, sonst gibts auf die Fresse. Ich hasse euch und eure blinden Parolen, fickt euch ins Knie, euch soll der Teufel holen. Ihr seit dumm geboren, genau wie ich, doch was ich lernte, lernt ihr nicht. Ihr seit blind vor Hass, dumm wie Brot. Ihr habt verschissen, eure Führer sind tot.«
10 | Vgl. Bembelsturm, Nr. 6, 1998. Fehler im Original
11 | Ebd.
12 | Vgl. Ruf nach Freiheit, Nr. 4, 2001
13 | Nichts ist für die Ewigkeit von der CD Es ist soweit, 1990. Auszug: »Nichts ist für die Ewigkeit, nichts bleibt wie es war, nur vier Jungs aus Frankfurt sind schon lange, lange da. Die Welt hat uns verlangt, sie hat nichts Besseres verdient. Habt ihr noch nicht erkannt, warum es Böhse Onkelz gibt?« Das Lied erschien 1990 zudem auf dem Sampler 6 für Deutschland, auf dem die Böhsen Onkelz zusammen mit den Neonazibands Saccara und Kahlkopf vertreten waren.
14 | Das Lied Türken raus erschien auf einem Demo-Tape der Böhsen Onkelz von 1981. Auszug: »Türkenpack, Türkenpack, raus aus unserm Land. Geht zurück nach Ankara, denn Ihr macht mich krank. Nadelstreifenanzug, Plastiktütenträger, Altkleidersammler und Bazillenträger. Türkenfotze unrasiert, Türkenfotze nicht rasiert.« Obwohl das Lied nie auf LP oder CD veröffentlicht wurde, ist das Lied den (heutigen) Fans stets bekannt.
15 | Nichts ist für die Ewigkeit von der CD Es ist soweit, 1990. Auszug: »Glaubst Du alles was ich sage, glaubst du, du weißt,wer ich bin? Stellst Du niemals Fragen, warum wir wurden, wie wir sind.«