Das Spiel ist aus?! – Staatsanwaltschaft Koblenz vs. »Aktionsbüro Mittelrhein«

„Polizei stürmt Braunes Haus – 24 Verhaftungen“ – Schlagzeilen wie diese waren es, die das Mediengeschehen am 13. März 2012 bestimmten. In vier Bundesländern fanden bei 33 Personen Hausdurchsuchungen statt.

Schwerpunkt war das nördliche Rheinland-Pfalz (RLP: Bad Neuenahr-Ahrweiler, Grafschaft, Sinzig, Gönnersdorf, Schalkenbach, Rheinbreitbach, Remagen, Mülheim-Kärlich, Koblenz und Bendorf ) sowie NRW (Düsseldorf, Bonn, Pulheim, Köln, Erftstadt, Schleiden und Freudenberg), jeweils eine Durchsuchung gab es in Thüringen (Kahla) und Baden-Württemberg (bei Konstanz). In RLP gab es 19 Festnahmen, in NRW fünf.

Die Aktion richtete sich insbesondere gegen das Aktionsbüro Mittelrhein (ABM, vgl. LOTTA #38) um ihre allesamt festgenommenen Hauptakteure Christian Häger (Bad Neuenahr), Philipp „Phil“ Neumann (Bonn) von der Band Flak, Sven Lobeck (Koblenz) und Sven Skoda (Düsseldorf/Bad Neuenahr), das von den ermittelnden Behörden als kriminelle Vereinigung eingestuft wird, der 28 Neonazis angehören sollen. Weitere fünf Neonazis, unter ihnen Axel Reitz (Pulheim), Paul Breuer (Köln) und Sebastian Ziesemann (Erftstadt) von der Kameradschaft Köln werden der Unterstützung der kriminellen Vereinigung ABM beschuldigt. Ziel des ABM sei es gewesen, „Anti-Antifa“-Arbeit zu betreiben. Systematisch seien vermeintlich politische Gegner_innen ausspioniert worden. Das „offen gewalttätige Vorgehen gegen Angehörige der Linken Szene“ war laut Staatsanwaltschaft Schwerpunkt der ABM-Aktivitäten.

Weitere Vorwürfe, die im Raum stehen, sind gefährliche Körperverletzung, schwerer Landfriedensbruch und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Auch Vorfälle rund um den Neonazi-Aufmarsch in Dresden am 19. Februar 2011 werden einigen der Festgenommenen zur Last gelegt: 15 Neonazis werden beschuldigt, sich an Angriffen auf das alternative Wohnprojekt Praxis beteiligt zu haben (vgl. LOTTA 43, S. 32). Schon bei der Anreise sollen Personen aus dieser Gruppe auf einem Parkplatz die Scheiben von Bussen vermeintlich linker Gegendemonstrant_innen eingeworfen haben.

Geplant worden seien die Straftaten von der „Zentrale“ des ABM aus: dem „Braunen Haus“. Gemeint ist ein Wohnhaus in Bad Neuenahr, das die Neonazis im Dezember 2009 angemietet hatten. Auch der Düsseldorfer Sven Skoda hatte im August 2011 dorthin seine Meldeadresse verlegt.

Neue Erkenntnisse der Behörden?

Antifaschistist_innen hatten schon 2009 eine Demo in Remagen veranstaltet, um auf die zunehmende Neonazi-Gewalt hinzuweisen. Sie fanden jedoch kein Gehör und wurden nicht ernst genommen. Die Polizei machte sich geradezu lustig über sie und erklärte, dass „nichts bekannt“ sei, es aber „Unruhe“ durch die „Punkerszene“ in der Region gegeben habe. In Berichten des RLP-Inlandsgeheimdienstes kamen die Schlapphüte erstmals in ihrem Bericht über das Jahr 2010 zu dem Schluss, dass sich ein Aktionsbüro Mittelrhein gebildet habe. In einer Antwort auf eine „Kleine Anfrage“ der Grünen im Landtag gab das Mainzer Innenministerium im Dezember 2011 dann an, dass das ABM erstmals Ende 2007 bekannt geworden sei und derzeit aus 14 Personen bestehe. Aktuell verweisen die ermittelnden Behörden in ihren Erklärungen darauf, dass sich ab Mitte 2010 die Hinweise verdichtet hätten, dass es sich beim ABM um eine kriminelle Vereinigung handele. Von Antifa-Seite hingegen wurde darauf hingewiesen, dass der harte Kern des „Aktionbüros“ bereits seit 2004 aktiv ist. Der Ursprung des ABM dürfte sogar auf noch ein Jahr früher datiert sein. Beim Koblenzer Neonazi Sven Lobeck, damals als Soldat in Brüssel stationiert, wurden am 22. Februar 2003 im Zuge einer Kontrolle zwei scharfe großkalibrige Handfeuerwaffen gefunden. Lobeck flog aus der Bundeswehr und trat von nun an bei Aufmärschen in Erscheinung. Damals agierte die neonazistische Struktur noch unter dem Label Aktionsfront Mittelrhein, es waren aber schon jene Hauptprotagonisten anzutreffen, die bis heute im ABM aktiv sind. Im Zuge der Unterstützung des Landtagswahlkampfes der rheinland-pfälzischen NPD im Jahre 2006 und der Kandidatur Lobecks folgte die Umbenennung in Aktionsbüro Mittelrhein. Die enge Anbindung an die NPD wird auch bei der Razzia deutlich. Neben Lobeck als Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Koblenz und Mitglied des Landesvorstandes der NPD RLP wird auch gegen Mitglieder des NPD-Kreisverbandes Ahrweiler ermittelt.

Hauptvorwurf, Timing und Reaktionen

Der Hauptvorwurf, der sich durch das Ermittlungsverfahren gegen das ABM zieht, also die Bildung bzw. Unterstützung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB, ist für die Staatsanwaltschaft Koblenz kein Einzelfall. In den letzten Jahren gab es mit den Prozessen gegen die Kameradschaft Westerwald und das Widerstand-Radio gleich zwei Verurteilungen, bei denen neonazistische Strukturen als kriminelle Vereinigungen eingestuft wurden. In den letzten Jahren wurden rund 50 Neonazis durch Koblenzer Gerichte in U-Haft geschickt. Trotz oder vielleicht auch wegen ihres Umgangs mit der Neonaziszene im nördlichen RLP haben sich Mitglieder des ABM öffentlich immer wieder mit der der Staatsanwaltschaft Koblenz angelegt. Sei es durch Twitter-Meldungen wie „Mit Richtern spricht man nicht, auf Richter schießt man!“, provokatives Auftreten bei Gerichtsprozessen oder Bedrohung von Zeug_innen.

Dass die Razzia ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt stattgefunden hat, liegt mit Sicherheit nicht nur am bekannten harten Vorgehen der Staatsanwaltschaft. Im Zuge einer verstärkten Berichterstattung auch in der regionalen Presse – nicht zuletzt nach Bekanntwerden der Mordserie des NSU –, war das ABM zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Auch antifaschistische Gruppen aus der Region gingen in die Offensive. Seit geraumer Zeit mobilisieren sie zu einer Bündnisdemonstration am 24. März 2012, um auf die Zustände in der Region aufmerksam zu machen. Immer mehr zeigte sich, dass die Behörden regional beim Thema „Rechtsextremismus“ ihre Deutungshoheit verloren.

Nach Bekanntwerden der Hausdurchsuchungen ließen die ersten Solidaritätserklärungen aus der Neonaziszene nicht lange auf sich warten. Neonazis aus Dortmund mobilisierten noch am Abend des 13. März zu einer Kundgebung, an der zirka 80 Personen teilnahmen. In einer weiteren Verlautbarung Dortmunder Neonazis wurde die Solidarität mit den Bewohnern des „Braunen Hauses“ betont. Auf einem bereits vor den Razzien angekündigten Aufmarsch am 31. März 2012 in Dortmund wurde neben der Forderung nach Erhalt des eigenen „Nationalen Zentrums“ in der Rheinischen Straße 135 in Dortmund auch die Solidarität mit dem „Braunen Haus“ bzw. den von den Razzien Betroffenen zum Ausdruck gebracht werden.

Für den 24. März 2012 wurde zudem ein „bundesweiter Aktionstag gegen staatliche Willkür“ angekündigt. Ursprünglich sollte an diesem Tag ein Aufmarsch des ABM in Ahrweiler unter dem Motto „Für ein nationales Jugendzentrum“ stattfinden. Doch der Anmelder befand sich in U-Haft, der Aufmarsch fiel also aus. Stattdessen gab es neonazistische Kundgebungen in Dortmund (40 Personen) und Wuppertal (90) sowie Flugblattaktionen in einigen weiteren Städten. Insgesamt fiel die Beteiligung also sehr schwach aus. Eigentlich hätte auch vermutet werden können, dass die Razzia einen Mobilisierungsschub für den NPD-Aufmarsch am 17. März 2012 in Trier bewirken würde. Doch nur 35 Personen fanden sich ein. Anmelder Safet Babic prognostizierte schon im Vorfeld bezugnehmend auf die Inhaftierten: „Die werden uns jetzt zum Teil wohl fehlen.“

Ausblick

Die zentralen Figuren des ABM und dessen Umfeldes sind erst einmal aus dem Verkehr gezogen. Gegen 23 der 24 verhafteten Person wurde Untersuchungshaft angeordnet, was auch das Ende des „Braunen Haus“ bedeuten könnte. Zwei Jahre versuchten dessen Besitzer_innen vergeblich, das Mietverhältnis mit ihren braunen Mieter_innen aufzulösen. Resigniert äußerten sie gegenüber der Presse: „Wir bekamen keine Unterstützung – weder von der Stadt noch von den Nachbarn“. Die Polizei habe sie auch nach der Razzia nicht informiert. Eventuell ergibt sich jetzt – trotz laufender Spendenaktionen zur Finanzierung der Miete – eine neue Möglichkeit.

Möglich ist auch, dass sich der Schlag gegen das ABM auf die anstehenden Aufmärsche am 7. April in Stolberg und insbesondere am 1. Mai in Bonn auswirken wird. Dass staatliche Maßnahmen gegen neonazistische Strukturen diese jedoch zumeist nur temporär schwächen, zeigt sich am ABM selbst. Nachdem im Jahre 2006 die Kameradschaft Westerwald durch die Staatsanwaltschaft zerschlagen wurde, trat das ABM deren Erbe im nördlichen RLP an.

Erschienen in: Lotta – Antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen,  #47 | Frühjahr 2012