Auf dem Land und im Osten sind – so die gängigen Klischees – die Neonazi-Zentren zu finden. Das Gegenteil davon ist Ludwigshafen am Rhein: eine Großstadt mit Arbeitertradition, starker Gewerkschaft und 20 Prozent der Einwohner_innen ohne deutschen Pass. Um die Frage zu beantworten, warum ausgerechnet dort eine große und stabile Neonazi-Szene entstehen konnte, muss der Blick über die Strukturen der Neonazis hinausgehen. Das Problem in Ludwigshafen ist vielschichtig und historisch gewachsen.
Der „Südwestdeutsche Kulturtag“ am 10. April 2010 hätte laut NPD im Rhein-Main-Gebiet stattfinden sollen. Über Schleusungspunkte landeten knapp 150 Neonazis jedoch im Ludwigshafener Stadtteil Gartenstadt, wo ein angeblicher „Wanderverein“ das „Volkshaus“ angemietet hatte. Dort erwartete sie eine mehrstündige NS-Show: Fahnenträger und Trommlergruppen, die in Marschformation einzogen, „mitreißende“ Reden über den „Politischen Soldaten“ und die „Geschichte der nationalen Bewegung seit 1945“. Im angrenzenden Park und auf der Straße klärten Neonazis – so berichten Teilnehmende stolz – herbeigeeilte Jugendliche aus dem Stadtteil darüber auf, „dass Nazis keine Ausländer in Deutschland wollen“.
Das Gespenstische dieses Nazitreffens war die völlig entspannte Atmosphäre, in der es stattfand. Stadtpolitiker_innen waren nicht zu erreichen, die Polizei schickte zwei Streifenwagen, die das Geschehen aus Entfernung gelangweilt betrachteten. Eine „gewisse Brisanz” habe das Treffen dadurch erhalten, so äußerte ein Polizeisprecher später, dass sich ein „der linken Szene nahestehender Reporter am Veranstaltungsort aufgehalten habe. Übersetzt: Wären nicht (auswärtige) Journalist_innen zur Dokumentation angereist, dann hätte der „Südwestdeutsche Kulturtag“ in der polizeilichen und politischen Wahrnehmung dieselbe Brisanz gehabt wie das Treffen eines x-beliebigen Wandervereins – nämlich keine. Willkommen in Ludwigshafen.
Der Konzern
Was in Ludwigshafen verstört, ist die Ignoranz und Gleichgültigkeit, mit der Stadt, Behörden und weite Teile der Bevölkerung den anhaltenden neonazistischen Aktivitäten gegenüber stehen. Dies hat Gründe.
Mit 168.000 Einwohner_innen ist Ludwigshafen die größte Stadt der Pfalz, des südlichen Landesteils von Rheinland-Pfalz. Die Geschichte der Stadt ist untrennbar mit der BASF verbunden, dem weltgrößten Chemiekonzern. Hier hat die BASF ihren Sitz und ihr Stammwerk, für sie arbeiten hier zurzeit 34.000 Menschen.
Die BASF war 1865 in dem damals 4.000 Einwohner_innen zählenden Ludwigshafen gegründet worden. Die Fabrik wuchs und mit ihr die Stadt. Angezogen wurden von ihr die Menschen aus dem Umland, vornehmlich aus dem kleinbäuerlichen Milieu, die vor allem als an- und ungelernte Arbeiter_innen unter besonders gefährlichen Bedingungen in der BASF schafften. Sozialforscher Günter Braun von der Universität Mannheim beschreibt diese in seinem 1994 erschienenen Buch „Schichtwechsel. Arbeit und Gewerkschaft in der Chemie-Stadt Ludwigshafen“ mehrheitlich als Tagelöhner ohne berufsständische Tradition, „die leicht zu ersetzen waren und eine unsichere Position auf dem Arbeitsmarkt besaßen. […] Das stete Kommen und Gehen beeinträchtigte die Arbeitskampffähigkeit und die Organisationsbereitschaft erheblich. […] Oft über landwirtschaftlichen Kleinstbesitz verfügend, blieben sie ihrer ländlichen Umgebung stark verhaftet und gewerkschaftlichem Gedankengut gegenüber fremd. Sollten dennoch Anzeichen von Sozialismus-Anfälligkeit oder Arbeitskampf-Bestrebungen aufkommen, so trafen sie in der Großchemie auf Unternehmer, die mit offensiven wie subtilen Mitteln die soziale und politische Emanzipation der Arbeiterschaft sowie die Existenz der organisierten Arbeiterbewegung unnachgiebig bekämpften.“
Im Jahr 1925 schloss sich die BASF mit anderen Unternehmen zur IG Farben zusammen. Der nun entstandene größte Konzern Europas war über Rüstungsproduktion, die Versklavung von Zwangsarbeiter_innen sowie personelle Verflechtungen dem NS-Regime treu ergeben. Die nach dem Krieg beschlossene Zerschlagung des Konzerns beschränkte sich auf die Rückführung zu dessen ursprünglichen Firmenbestandteilen. So bekam die BASF ihre Selbstständigkeit und ihren Namen zurück. Sie wuchs in rasantem Tempo zum Global Player. Anfang der 1980er Jahre arbeiteten 55.000 Menschen an ihrem Standort Ludwigshafen. Rationalisierungsmaßnahmen und Produktionsauslagerungen führten seitdem zu einem beträchtlichen Rückgang der Belegschaft. Der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens blieb ungebrochen.
Die Stadt
Vom Erfolg der BASF profitierte die Stadt. Bis in die 1980er Jahre leistete sie sich monströse Stadtplanungsprojekte wie eine stadtüberspannende Brücke und den damals modernsten Bahnhof Europas. Alles war auf die BASF und stetiges Wachstum ausgerichtet. Das Einzige, was jedoch ab den 1990er Jahren noch wuchs, waren die Konzerngewinne. Einnahmen durch Steuern und Konsum blieben zunehmend aus, und als sich die BASF zeitweise der Gewerbesteuerbelastung vollständig entzog, brachen die städtischen Finanzen ein. Die Bevölkerung litt unter dem Arbeitsplatzabbau, der überproportional die einfacheren Jobs betraf. Sie traf es umso härter, da in der Stadt vor allem die Arbeiter_innen und kleinen Angestellten wohnten und die von den Einsparungen weniger betroffenen Ingenieure und Manager die landschaftlich reizvolle Pfalz oder das attraktivere Mannheim als Wohnorte bevorzugten. Die Stadt war in ihrer Infrastruktur und Fläche auf eine Größe ausgelegt, der nun teilweise die Grundlage entzogen war. Dies zeigt sich heute im erheblichen Leerstand von Ladenflächen, der Verwahrlosung von öffentlichem Raum und Rückbau von Wohnraum und Infrastruktur. Dies passiert vor dem Hintergrund einer 70er-Jahre-Architektur, in der viel Beton verbaut wurde, was den optischen Eindruck noch trostloser macht.
Die Stadt ist auf einer industriellen Monokultur gewachsen, was nicht nur Wirtschaftsstruktur und Architektur prägt, sondern auch die Denkweise von Verwaltung und politischer Elite. Wachstum wurde als Allheilmittel gesehen, wirtschaftlicher Erfolg und Konsumsteigerung als übergeordnetes und handlungsleitendes Ziel gesetzt. Als der Erfolg ausblieb, traten gesellschaftliche Erosionsprozesse zutage. Dies bildet nicht nur den Nährboden für die Republikaner, die jahrelang als drittstärkste Kraft im Ludwigshafener Stadtparlament saßen und dort aktuell mit drei Personen vertreten sind.
Die Gewerkschaften
Die Gewerkschaften in den Ludwigshafener Chemieunternehmen hatten aufgrund der soziostrukturellen Zusammensetzung der Belegschaften und dem autokratischen Führungsstil der Firmenleitung einen schweren Stand. Letzterer war durch einen stark antigewerkschaftlichen Kurs und ein früh in der Konzerngeschichte etabliertes gestaffeltes Lohn- und Privilegien-System für „pflicht- und werkbewußte Dauerbeschäftigte“ (Günter Braun) gekennzeichnet. Prägend für Ludwigshafener Gewerkschaften und Arbeiterschaft waren die verlorenen großen Arbeitskämpfe 1920, 1924 und 1977. Diese stärkten die sozialpartnerschaftlich orientierte, sozialdemokratische Fration und schwächten die linken Kräfte.
Die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter_innen und Angestellten waren und sind in der großen Mehrheit Mitglied in der IG Chemie, die 1997 mit anderen Gewerkschaften zur IG BCE fusionierte. Die IG BCE zählt zu den konservativsten Gewerkschaften innerhalb des DGB. Sie bekennt sich klar zur Marktwirtschaft, auch der Atomausstieg wurde bis vor Kurzem noch abgelehnt. In wirtschaftlich guten Zeiten wurden von ihr die Auseinandersetzungen um Lohnerhöhungen geführt, in schlechten über Sicherung von Arbeitsplätzen. Die Arbeitskämpfe hatten nie eine politische Dimension, es ging allein um die Verteilung innerhalb des Unternehmens. Monetär zahlte sich diese Politik aus, da die Mitarbeiter_innen der BASF bis Anfang der 1990er Jahre am wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens beteiligt wurden. Diese Ausrichtung führte zur zunehmenden Entpolitisierung der Belegschaften, auch deshalb lagen in der Stadt und in den Betrieben viele andere gewerkschaftliche Themengebiete (wie z.B. Umwelt oder Antifaschismus) zu lange brach.
Die Zivilgesellschaft und Subkulturen
Eine vitale linke Kultur bietet meist guten Schutz gegen das Erstarken extrem rechter Kräfte. Linke Kultur und Ideen können zum Einen in einer Arbeiterbewegung gelebt und weiterverbreitet werden. Darin spielen Gewerkschaften und linke Parteien, vor allem deren Jugendorganisationen, eine wichtige Rolle. Zum Anderen zeigt sich ein humanistisch geprägtes Bildungsbürgertum als möglicher Träger linker Konzepte, was häufig in Universitätsstädten spürbar ist.
Abgesehen davon, dass ein Teil des in Ludwigshafen arbeitenden Bildungsbürgertums einen anderen Wohnort bevorzugt, handelt es sich bei der dort wohnhaften Oberschicht vor allem um eine technische und kaufmännische Elite, die von den Politiken der Chemie-Konzerne geprägt ist.
In Ludwigshafen war über Jahrzehnte hinweg die SPD stärkste Partei (auch wenn dies heute nicht mehr so ist). Links von ihr gab es kaum Spielräume. Die Grünen standen häufig in Gegnerschaft zur BASF, bekamen deshalb erst spät einen Fuß auf den Boden und sind traditionell schwach. Kommunistische Parteien spielten in der politischen Landschaft der Stadt nie eine wirkliche Rolle.
Weiterhin können Subkulturen mit linksalternativer Prägung ein Faktor für die Transmission progressiven Gedankenguts sein. Oft genügt ein antifaschistischer Grundkonsens innerhalb und zwischen verschiedenen Subkulturen, um es den Neonazis vor Ort schwer zu machen. In Ludwigshafen existierten bis in die 1990er Jahre die auch in anderen Regionen verbreiteten Subkulturen, unter anderem eine stabile Punk-Szene, aus der sich Anfang der 1990er Jahre eine Kampagne für ein „Autonomes Zentrum“ speiste. Doch die Treffpunkte und Institutionen alternativer Subkultur brachen weg. Das „Haus der Jugend“, wo bis Ende der 1990er Jahre Punk- und Hardcore-Konzerte stattfanden, wurde in „ein Haus des Jugendrechts“ verwandelt, in dem seit 2005 auch die Polizei Räumlichkeiten hat. Bis vor acht Jahren bestand das „Blockhaus“, ein kleines Jugendzentrum, in dem vor allem Reggae-Partys und -Konzerte stattfanden, bis es von seinem kirchlichen Träger geschlossen wurde. Linke, alternative Subkultur existiert in der Stadt heute nur noch in geringem Maße. Generationenwechsel und Abwanderung ließen die Szenen schrumpfen, die in Ludwigshafen nicht um ihre Freiräume kämpften: Zu schwach war ihre Lobby, zudem war Mannheim auf der anderen Rheinseite eine schnell erreichbare Alternative.
Die Neonazis
Die Neonazis in Ludwigshafen zeichneten sich seit den frühen 1980er Jahren durch besondere Aggressivität aus, was bis in die 1990er Jahre zu heftigen Auseinandersetzungen mit antifaschistischen Jugendlichen führte. In den 1990er Jahren folgten Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte. Besonderes Merkmal der lokalen Naziszene ist eine hohe personelle Kontinuität. Beispielhaft hierfür steht der NPD-Aktivist Christian Hehl, der seit 25 Jahren vor Ort eine der zentralen Figuren ist. Diese Kontinuität und das durchgängige Bestehen einer Szene seit Jahrzehnten führten zu deren Stabilisierung und Verankerung. Es findet ein generationsübergreifender Transfer von Ideologie, Erfahrung und Struktur statt.
Um 2000 zog der Neonazi Matthias Herrmann von Jena nach Ludwigshafen und gab mit seinem Hyperaktionismus dort schnell den Ton an. Nur wenig später ließ sich Malte Redeker in Ludwigshafen nieder – ein „Macher“ der Naziskinheadszene, der die Jahre zuvor in Mexiko und in der Schweiz gelebt hatte. Redeker wurde eine führende Figur der deutschen Hammerskins, veranstaltet Konzerte, führt das Label und den Versand Gjallarhorn Klangschmiede, der bis 2007 das neonazistische Jugendmagazin Nordwind herausgab. Redeker zeichnet etwas aus, was dem Großteil seiner Szene fremd ist: soziale Kompetenz. Er bringt kraft seiner Autorität die Leute an einen Tisch, moderiert Konflikte und kümmert sich um die, die er väterlich „seine Jungs“ nennt.
Ein drittes Beispiel ist Rene Rodriguez-Teufer aus Viernheim (Hessen), der schon vor 20 Jahren in der 1995 verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) aktiv war und sich danach im Aufbau von Kameradschaften an der südhessischen Bergstraße engagierte. Aufgrund des zunehmen den Drucks auf die dortige Szene ab 2003 verlagerte er seinen Aktionsschwerpunkt nach Ludwigshafen, wo er nötige Mitstreiter_innen und Freiräume vorfand.
Mit Redeker, Rodriguez-Teufer und Herrmann trafen sich drei Personen, die Integrationskraft, Erfahrung und Organisationstalent in einer Struktur bündelten. Die drei schufen 2003 das Aktionsbüro Rhein-Neckar (AB R-N), das als Schnittstelle und Gremium der anwachsenden Kameradschaften der Großregion diente und bis heute eine führende Struktur der Neonazis in Südwestdeutschland ist.
Eine interne Telefonliste des AB R-N wies um das Jahr 2005 insgesamt 191 Personen auf, die in NPD und Kameradschaften im Ludwigshafener Nahraum eingebunden waren. Auch wenn sich die Kameradschaften in den Folgejahren auflösten oder umstrukturierten, so ist der Zulauf und die Integrationskraft der Szene ungebrochen. Ständig entstehen neue Gruppen und Labels, wie zum Beispiel die LuNaRa (Ludwigshafener Nazis und Rassisten), in deren Reihen sich Schläger aus Kameradschaften, Hammerskins und Hooligangruppen zusammenfinden.
In der hiesigen Szene gibt es wenig Abgänge. Selbst wenn sich Neonazis Rockergruppen anschließen oder ins familiäre Leben (scheinbar) zurückziehen, bleiben sie ihrem politischen Kreis meist verbunden. Und sie bleiben in Ludwigshafen.
Neonazis sind dort ein Machtfaktor. Beispielsweise für den Kneipenwirt, der es nicht wagt, diejenigen Neonazis vor die Tür zu setzen, die seine aus dem Ausland stammende Ehefrau übel beleidigen. Oder für die „unpolitische“ Metalband aus dem Ludwigshafener Vorort, deren CD laut eigener Aussage ohne ihre Einwilligung von einem Neonazilabel veröffentlicht wurde, und die sich dennoch nicht traut, juristisch dagegen vorzugehen.
Und Neonazis sind Sozialisierungsfaktor. Nicht zufällig entstehen in Ludwigshafen Projekte wie N’Socialist Soundsystem (NSS), das neonazistischen HipHop bietet. Die Besetzung einer Deutschrock-Spaß-Band besteht aus aktiven Neonazis und dem Vorsitzenden einer katholischen Pfadfinder-Gruppe. Und in einem Jugendraum in einem Ludwigshafener Vorort erklären 15-Jährige wie selbstverständlich dem Sozialarbeiter, dass es ganz normal wäre, „rechts zu sein“. Neonazis und ihre Ideologie sind in weiten Teilen der Alltags- und Jugendkultur zugehörig und „normal“.
Die Behörden
Beispiele wie der eingangs beschriebene „Südwestdeutsche Kulturtag“ von 2010 lassen sich aus Ludwigshafen aus den letzten Jahren einige erzählen. Angesprochen auf das unübersehbare Neonaziproblem, ähnelt die Reaktion der Verantwortlichen in Polizei und Stadtverwaltung dem Auftreten von Kriegsministern, die vor Kameras beteuern, dass die Lage völlig unter Kontrolle und ruhig sei, während im Hintergrund die Rauchsäulen aufsteigen.
Die Polizei gibt stets eine einstellige Anzahl von Neonazis in der Stadt an, während sich allein aus den virtuellen Sozialen Netzwerken eine dreistellige Zahl von Personen in Ludwigshafen und dessen Nahbereich herausfiltern lässt, die aus ihrer Zugehörigkeit zur „nationalen Szene“ keinen Hehl machen. Die Brandanschläge wurden vertuscht oder zumindest die rassistische Motivation stets ausgeblendet. Die regelmäßig stattfindenden Aufmärsche und Veranstaltungen der Neonazis werden als reine Verwaltungsangelegenheit und polizeiliche Aufgabe wahrgenommen und behandelt. Antifaschistische Proteste werden stets massiv behindert und kriminalisiert. Diesen Umgang pflegt auch die Monopolzeitung Rheinpfalz. Multiplikatoren für kritische Stimmen gibt es in der Medienlandschaft kaum.
Politisch hat sich die Stadtspitze nie zum Neonazi-Problem bekannt. Erst 2009 kam das Thema „Rechtsextremismus“ in Ludwigshafen überhaupt auf die Tagesordnung, da das Bündnis Ladenschluss Ludwigshafen, ein regionaler Zusammenschluss linker Gruppen, Teilen der Gewerkschaften und Bürgerinitiativen, politischen Druck ausübte. Das Bündnis wehrte sich gegen das Ladengeschäft Streetwear Company, das Malte Redeker 2008 eröffnet hatte und das sich zu einem Treffpunkt der Szene entwickelte. Dass im September 2009 aufgrund des öffentlichen Drucks tatsächlich Ladenschluss bei Streetwear Company war, stellt einen Teilerfolg dar, den sich weder die Stadt noch die Sicherheitsbehörden ans Revers heften können.
Derzeit bemüht sich Redeker, eine Kneipe oder Diskothek zu pachten, um einen weiteren Treffpunkt für die Szene aufzubauen für Veranstaltungen, Konzerte und Kampfsporttrainings.
Das Fazit
Wenn auch die Situation in Ludwigshafen sehr speziell ist und sich daraus nur schwer allgemeine, auf andere Städte übertragbare Wirkungszusammenhänge ableiten lassen, können einzelne Faktoren identifiziert werden, die zur Erstarkung und Etablierung der Neonaziszene führ(t)en. Der vollkommene Zuschnitt der Gesellschaft auf die Interessen eines Konzerns erzeugte und verfestigte eine Kultur der Teilnahmslosigkeit in vielen sozialen Fragen. Vor allem darin gründet die Traditionslosigkeit und Marginalität linker Utopien und Strukturen. Und darin gründet die Schwäche antifaschistischer Widerstands-Kultur(en) und die Ignoranz in Verwaltung und Behörden. Wenn es Neonazis nun gelingt – wie in Ludwigshafen geschehen –, Strukturen und Kontinuität zu schaffen sowie ein fähiges Führungspersonal hervorzubringen, dann öffnen sich ihnen weite Handlungs- und Bewegungsräume.
Aus Sicht der Großindustrie hat man in Ludwigshafen in den letzten 150 Jahren sicher vieles richtig gemacht – aus antifaschistischer Sicht jedoch so ziemlich alles falsch.
Von F. Schmidt und Stephan Rauch
Erschienen in: Lotta – Antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen, #49 | Herbst 2012
Artikel als pdf: Die Stadt, die Arbeit und die Nazis. Ludwigshafen – Soziogramm einer Großstadt mit Neonazi-Problem