Die 1964 gegründete NPD entwickelte sich schnell zu einer spektrenübergreifenden Sammlungspartei. Nachdem es der NPD in den Jahren 1966 bis 1968 gelang, in sechs Landtage (darunter 1967 in Hessen, mit 7,9 Prozent, und 8 Sitzen) einzuziehen, wuchsen die Hoffnungen innerhalb der extremen Rechten, dass erstmals wieder eine extrem rechte Partei eine relevante politische Kraft innerhalb des Parteienspektrums werden könne. Durch das knappe Scheitern der NPD bei der Bundestagswahl 1969 (4,3 Prozent) zerschlugen sich jedoch diese Hoffnungen.
Große Teile der neofaschistischen Szene wandten sich fortan offen vom legalen Weg ab und bildeten außerparlamentarische Aktionsgruppen. Die Militanteren organisierten sich in konspirativen und paramilitärischen Kleinstgruppen. Andere gründeten die offen militant agierenden Wehrsportgruppen.
Die Nationale Deutsche Befreiungsbewegung
Eine der ersten rechtsterroristischen Kleinstgruppen in Hessen zu dieser Zeit war die Nationale Deutsche Befreiungsbewegung (NDBB), die sich 1970 gründete und sich als Vorläuferorganisation einer neuen NSDAP verstand. Ins Visier genommen hatte die NDBB für ihre Aktionen DDR-Einrichtungen. Am 10. Jahrestag des Mauerbaus sollte es zu Sprengstoffanschlägen in Berlin, Zielschüssen auf NVA-Soldaten und Handgranatenangriffe auf Wachtürme der NVA kommen. Die Pläne der Gruppe wurden jedoch seitens der Strafverfolgungsbehörden mittels Hausdurchsuchungen in Hanau und Wiesbaden einen Tag vor der Umsetzung verhindert. Ein V-Mann innerhalb des NDBB hatte das Vorhaben auffliegen lassen. Die NDBB arbeitete dennoch bis 1978 weiter, ehe sich die Gruppe auflöste.
Wehrsportgruppen als Keimzelle der militanten Szene
1973 gründete sich in Nordbayern die Wehrsportgruppe Hofmann (WSG), die sich – mit zahlreichen Untergliederungen im gesamten Bundesgebiet – schnell zum größten Sammellager für das militante Spektrum entwickelte. Bundesweit bekannt wurde die WSG durch den Anschlag auf das Münchener Oktoberfest 1980 sowie den Mord an dem jüdischen Paar Levin Shlomo und Frieda Pörschke im Dezember 1981 in Erlangen. Beide Taten wurden von WSG-Mitgliedern verübt.
In Hessen führten Thomas Brehl die WSG Fulda und der Hanauer Arndt-Heinz Marx die Frankfurter Sektion Sturm 7 (auch Sturmabteilung 7) an. Beide Gruppen, die zu den bundesweiten Aktivposten der WSG zählten, existierten von 1980 bis 1982 und ließen durch Wehrsport- und Schießübungen, militante Angriffe und Auftritte in NS-Uniformen von sich hessenweit reden.
Nach dem Verbot der WSG, im Jahr 1980, reorganisierten sich viele der ehemaligen WSG-Aktivisten in bundesweit vernetzten, militanten Kameradschaften.
Nach den Wehrsportgruppen – Militante Kameradschaften und Beteiligung an Wahlen
Die von Thomas Brehl 1982 gegründete Gruppe Nationale Aktivisten (NA) schloss sich bereits im Januar 1983 Michael Kühnens Aktionsfront Nationaler Sozialisten (ANS) an. Das Hauptziel der ANS/NA war die Wiederzulassung der NSDAP.
Bereits im „Bückeburger Prozess“ von 1979 hatten die Richter die ANS, u.a. aufgrund ihrer Nähe zur NSDAP/AO (Auslands- und Aufbauorganisation) als eine Nachfolgeorganisation der NSDAP bezeichnet. Die ANS-Aktivisten stufte das Gericht als Rechtsterroristen ein.
Als Unter- und Wahlorganisation der ANS/NA gründeten Brehl und Marx die Aktion Ausländerrückführung – Volksbewegung gegen Überfremdung und Umweltzerstörung (AAR). Die Teilnahme an der hessischen Landtagswahl 1982 brachte der AAR trotz ihres militanten Hintergrundes bis zu 0,5 Prozent der Stimmen ein. Am Ende des Jahres 1983 verbot das Bundesinnenministerium die AAR.
Die personellen Strukturen wurden jedoch in der Freiheitlichen Arbeiterpartei (FAP) aufrechterhalten. Dort sollten die ehemaligen ANS/NA-Mitglieder alsbald auf ehemalige Mitglieder einer weiteren in Hessen agierenden militanten Gruppierung treffen – jene der Volkssozialistischen Bewegung Deutschland/Partei der Arbeit (VSBD).
Die Volkssozialistische Bewegung Deutschland/Partei der Arbeit
Der 1971 von dem ehemaligen Mitglied des BDJ, Friedhelm Busse, gegründete VSBD setzte sich für die Förderung des Wehrsports ein und wurde bis in die frühen 1980er Jahre durch die NSDAP/AO unterstützt. Folglich fanden sich auch im VSBD, nach den Verboten der WSG Hoffmann, ehemalige WSG-Mitglieder wie Arndt-Heinz Marx ein. Der hessische Landesverband, geführt von Dieter Sporleder und Walther Kexel, bestand laut Verfassungsschutz Hessen aus 20 Personen.
Diverse Waffenfunde im Rhein-Main-Gebiet zeugten davon, dass es die hessischen Militanten auch zu diesem Zeitpunkt nicht nur bei Wehrsportübungen belassen wollten. So fand die Polizei im Dezember 1978, wiederum in Hanau, bei einer Gruppierung namens Kommando 88 neben Waffen auch eine Liste mit 500 Namen möglicher Mordopfer. Weitere Waffenfunde im Rhein-Main-Gebiet folgen ein Jahr später.
Am 24. Dezember 1980 tötete das Frankfurter VSBD-Mitglied Frank Schubert schließlich zwei Schweizer Grenzsoldaten, als diese ihn beim Versuch des Schmuggels von Waffen verhaften wollten. Im Anschluss an die Tat erschoss sich der 23-jährige selbst. Schubert, der in der Folge von Busse als Held der Bewegung gefeiert wurde, stand im Verdacht, mit Walther Kexel im gleichen Jahr an Banküberfällen in den südhessischen Städten Zwingenberg und Bensheim beteiligt gewesen zu sein. Ein bereits im Ansatz gescheiterter Banküberfall des VSBD leitete im Oktober 1981 das Ende des VSBD ein. Als die Polizei fünf VSBD-Mitglieder bei München kontrollierte, eröffneten die Neonazis das Feuer. Bei der Schießerei wurden die Neonazis Nikolaus Uhl und Kurt Wolfgram erschossen. Busse, in dessen Wohnung die Mitglieder des so genannten Kommando Omega vor der Fahrt zu dem geplanten Banküberfall die Tat planten, wurde 1983 wegen Begünstigung von Bankräubern und Verstoß gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Bereits im Januar 1982 wurde der VSBD von Bundesinnenminister Gerhart Baum verboten.
Verbindungen aus Hessen zum Anschlag auf das Münchner Oktoberfest?
Eine Verfolgungsjagd samt Geiselnahme und Schusswechsel zwischen Polizei und Gejagten sorgte schließlich am 2. August 1982 in Rodgau für Aufregung. Auf der Flucht vor der Polizei befand sich das ehemalige WSG– und Sturm 7-Mitglied Stefan Wagner. Im Rahmen der Verfolgungsjagd erschoss sich Wagner selbst. Kurz zuvor soll er einem Zeugen sowie seinen Geiseln offenbart haben: „Lebend bekommen die mich nicht … Ich war bei der Aktion gegen das Oktoberfest in München dabei.“ Wagners Behauptung wurde jedoch seitens der Strafverfolgungsbehörden keinerlei Beachtung geschenkt.
Anmerkung:
Hessen gilt seit Jahren als eines der ruhigsten Bundesländer hinsichtlich extrem rechter Aktivitäten, Straf- und Gewalttaten. Dies versucht die konservative Landesregierung alljährlich mithilfe ihrer Statistiken zu unterstreichen. Der Mord an Halit Yozgat im April 2006 in Kassel und die vermeintlichen Kontakte des NSU zu dem in Hessen lebenden Rechtsterroristen Manfred Roeder haben jedoch das scheinbar beschauliche Hessen ins NSU-Licht rücken lassen. Ein Blick in die Geschichte macht zudem deutlich: in Hessen lassen sich schon seit Jahrzehnten militante und terroristische Aktivitäten beobachten.
Eine Dokumentation militanter und rechtsterroristischer Bestrebungen in Hessen in mehreren Teilen
Teil 1: Der Technische Dienst http://www.infobuero.org/2013/06/rechtsterroristische-bestrebungen-in-hessen-teil-1-der-technische-dienst/
Teil 2: Manfred Roeder http://www.infobuero.org/2013/07/rechtsterroristische-bestrebungen-in-hessen-teil-2-manfred-roeder/
Teil 3: Die Radikalisierung der extremen Rechten in den 1970ern http://www.infobuero.org/2013/09/rechtsterroristische-bestrebungen-in-hessen-teil-3-die-radikalisierung-der-extremen-rechten-in-den-1970ern/
Teil 4: Die Hepp-Kexel-Gruppe http://www.infobuero.org/2014/02/rechtsterroristische-bestrebungen-in-hessen-teil-4-die-hepp-kexel-gruppe/
Teil 5: Peter Naumann http://www.infobuero.org/2014/10/rechtsterroristische-bestrebungen-in-hessen-teil-5-peter-naumann/
Teil 6: Die 1990er http://www.infobuero.org/2015/01/rechtsterroristische-betrebungen-in-hessen-teil-6-die-1990er/