Im April des Jahres 1982 begannen der damals 24-jährige Odfried Hepp und der damals 21-jährige Walther Kexel im Rhein-Main-Gebiet eine Terrorgruppe zu gründen. Das Hauptaugenmerk der von Offenbach und Frankfurt aus agierenden sogenannten Hepp-Kexel-Gruppe galt US-amerikanischen Einrichtungen. Das politische Ziel: mit Anschlägen sollten die US-Truppen aus Deutschland gebombt werden.
Nahezu alle Mitglieder der 6-köpfigen Gruppe hatten völkische Jugendverbände wie Wiking Jugend und Bund Heimatreuer Jugend durchlaufen und waren in militanten Freien Kameradschaften radikalisiert und militärisch ausgebildet worden. Walther Kexel, Wulf-Helge Blasche (Frankfurt) und Ulrich Tillmann waren zuvor in der Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands, Peter Sporleder (Gießen) und Hans-Peter Fraas in den Wehrsportgruppen Hoffmanns (siehe hierzu Teil 3 der Reihe) organisiert. Der führende Kopf der Gruppe, Odfried Hepp, der Manfred Roeder als seinen Ziehvater bezeichnete, wurde im Libanon durch die Wehrsportgruppe Ausland im Guerillakampf ausgebildet. Zu dieser Ausbildung gehörte das Erlernen diverser Guerillataktiken, Brückensprengungen sowie der Umgang mit Schusswaffen.
„Terror in reinster Form gegen die amerikanische Fremdherrschaft“
Zur Finanzierung ihrer Aktivitäten setzte die Hepp-Kexel-Gruppe von Beginn an auf Banküberfälle. Betroffen von solchen Raubüberfällen, in denen die Gruppe jeweils mehrere zehntausend Mark erbeutete, waren Banken und Sparkassen in den mittelhessischen Kleinstädten Hungen, Laubach, Büdingen und Nidderau. Mit dem erbeuteten Geld wurden konspirative Wohnungen angemietet und Waffen besorgt, die in Wäldern des Rhein-Main-Gebiets in Erddepots gelagert wurden.
Von Oktober bis Dezember 1982 setzte die Gruppe schließlich ihr Vorhaben um, „Terror in reinster Form“, wie Hepp es später beschrieb, gegen die „amerikanische Fremdherrschaft“ zu betreiben. In Frankfurt, Butzbach, Darmstadt und Gießen platzierte die Gruppe erfolgreich Sprengkörper unter den Sitzen von Fahrzeugen von Angehörigen der US-Streitkräfte. Mehrere Soldaten wurden bei diesen Anschlägen z.T. lebensgefährlich und mit bleibenden Folgen verletzt. In Frankfurt-Eschborn versagte glücklicherweise der Zünder einer in einem Parkhaus platzierten Bombe. Wäre die Bombe detoniert, hätte diese vermutlich die Wohnhäuser über dem Parkhaus stark beschädigt und zahlreiche Opfer gefordert.
Weitere geplante Vorhaben – bspw. der Beschuss US-amerikanischer Wohnungen mit Granatwerfern oder das Deponieren getarnter Sprengsätze auf Spielplätzen solcher Wohnblocks – konnte die Gruppe nicht mehr umsetzen. Infolge eines im Februar 1983 gescheiterten Banküberfalls werden Sporleder, Blasche und Fraas in einer konspirativen Wohnung in Frankfurt festgenommen, Kexel und Tillmann kurz darauf in London. Odfried Hepp, der zu diesem Zeitpunkt in Berlin weilte, flüchtete zunächst in die DDR.
In den Folgejahren agierte Hepp, der sich nunmehr als antiimperialistischer Nationalbolschewist (in Anlehnung an Ernst Röhm und die Brüder Otto und Gregor Strasser) begriff, in Syrien, Tunesien, Marokko und Frankreich aus dem Untergrund heraus für die Palästinensische Befreiungsorganisation PLF. 1985 wurde Hepp in Paris verhaftet und 1987 an die BRD ausgeliefert. Hepp galt zu diesem Zeitpunkt als einer der am meist gesuchten Terroristen weltweit.
Da Hepp im Zuge des Prozesses umfangreich gegen die neonazistische Szene aussagte, verurteilte ihn das Oberlandesgericht Frankfurt im Oktober 1987 u.a. wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung lediglich zu 10 ½ Jahren Haft. Der zweite Kopf der Gruppe, Walther Kexel, hatte bereits 1985 eine 14-jährige Strafe erhalten. Noch in der Nacht nach der Verurteilung erhängte er sich in seiner Zelle.
Zahlreiche Parallelen zum NSU-Fall
Trotz rechtsterroristischer Taten und einem überaus professionellen Agieren der Hepp-Kexel-Gruppe, haben auch die Umtriebe dieser Gruppe keinen Eingang in die bundesdeutschen Geschichtsschreibung gefunden. Auch in den bundesdeutschen Behörden, die damit betraut sind, Terrorismus zu bekämpfen, scheint dieses Wissen um die Geschichte des Rechtsterrorismus nicht vorhanden zu sein. So wurde im Zusammenhang mit der Aufdeckung des NSU immer wieder behauptet, man habe sich nicht vorstellen können, dass die neonazistische Szene zum Aufbau solcher Strukturen fähig sei.
Die Verdrängung der zahlreichen rechtsterroristischen Aktivitäten, insbesondere der 1970er/1980er Jahre, dürfte – neben dem institutionellem Rassismus – eine zentrale Erklärung für die fehlgeleiteten Ermittlungen der Behörden in Sachen NSU liegen. Die Betrachtung der Geschichte des Umgangs mit Rechtsterrorismus und militantem Neonazismus zeigt, dass nicht nur damals wie heute der Wille fehlte, an dieses Wissen in warnender Absicht zu erinnern, sondern auch, dass das Problem – selbst wenn es offensichtlich ist – nicht ernst genommen wird bzw. Taten fehlinterpretiert werden.
Aus heutiger Sicht werden bei der Betrachtung der Hepp-Kexel-Gruppe zahlreiche Parallelen zum NSU deutlich.
Beide Gruppen agierten von konspirativen Wohnungen aus, finanzierten ihre Taten durch Banküberfälle und verzichteten auf Bekennerschreiben. Aufgrund früherer gewalttätiger Aktivitäten waren die Mitglieder des NSU, wie auch die sechs Mitglieder der Hepp-Kexel-Gruppe den Behörden bekannt. Bereits 1979 wurde beispielsweise gegen Hepp wegen des Verdachts der „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ ermittelt. Doch ehe der Prozess gegen ihn eröffnet wurde, konnte er mit Hilfe von Karl-Heinz Hoffmann in den Libanon fliehen. Auch Uwe Böhnhard und Uwe Mundlos flohen unmittelbar, bevor größerer Druck durch Strafverfolgungsbehörden anstand. Die Flucht ins Ausland (Hepp) bzw. der Gang in den Untergrund (NSU) wäre ohne unterstützende Strukturen kaum möglich gewesen.
Trotz besseren Wissens, das die Behörden angesichts der Geschichte des Rechtsterrorismus in der BRD hätten haben müssen, schätzten sie die Lage bezüglich des NSU erneut völlig falsch ein. Obwohl bereits im Fall der Hepp-Kexel-Gruppe deutlich wurde, dass eine im Verborgenen agierende rechtsterroristische Gruppe gute Kontakte ins militante Neonazispektrum hatte, konnten sich Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz nach der Aufdeckung des NSU angeblich nicht vorstellen, dass das Agieren mit einem solchen Unterstützungsnetzwerk möglich gewesen sei.
Tatmotive nicht erkannt
Besonders gravierend sind die wiederholten Fehler der Behörden bezüglich der Einschätzung was die Tatmotive betrifft. Weder bei den Morden des NSU, noch im Fall der Anschläge der Hepp-Kexel-Gruppe wollten die Fahnder einen rechten Hintergrund erkennen. Dabei hatte die TAZ 1982, nur wenige Monate vor den Taten der Hepp-Kexel-Gruppe, die von Hepp und Kexel verfasste Erklärung „Abschied vom Hilterismus“ abgedruckt. Der Text, der die antiimperialistische und antiamerikanische Haltung von Hepp und Kexel verdeutlichte, gab auch Namen und Wohnort der Verfasser an. Obwohl das BKA die Köpfe der HKG von Beginn an überwachte und die Sonderkommission Rhein-Main des Hessischen Landeskriminalamtes (LKA) nach den Anschlägen Hinweise auf einen extrem rechten Tathintergrund erhalten hatte, ermittelten die Behörden in Richtung RAF und Revolutionäre Zellen. Aufgedeckt wurden die Taten der Hepp-Kexel-Gruppe (sowie die Existenz der Gruppe) nicht durch die Ermittlungen, sondern – wie im Falle des NSU – durch eine zufällige Verhaftung des Großteils der Gruppe infolge eines gescheiterten Banküberfalls.
Ein hessischer Sicherheitsbeamter sprach damals, in Anbetracht der groben Fehleinschätzung der Behörden, von einem Standardreflex, den er bei vielen seiner Kollegen beobacht habe: „Da wird sofort nach links geguckt und erst dann geht der Kopf langsam nach rechts.“ (Spiegel 8/1983). Im Fall des NSU wurde zwar nicht „sofort nach links geguckt“, doch auch hier wurden extrem rechte Motivlagen ausgeschlossen. Obwohl ein rassistisches Tatmotiv bei einer Mordserie, die zunächst ausschließlich Menschen mit Migrationshintergrund traf, nahelag, wurde Rassismus als Tötungsmotiv nicht in Betracht gezogen. Stattdessen folgen die Ermittlungen selbst rassistischen Denkweisen.
Anmerkung:
Hessen gilt seit Jahren als eines der ruhigsten Bundesländer hinsichtlich extrem rechter Aktivitäten, Straf- und Gewalttaten. Dies versucht die konservative Landesregierung alljährlich mithilfe ihrer Statistiken zu unterstreichen. Der Mord an Halit Yozgat im April 2006 in Kassel und die vermeintlichen Kontakte des NSU zu dem in Hessen lebenden Rechtsterroristen Manfred Roeder haben jedoch das scheinbar beschauliche Hessen ins NSU-Licht rücken lassen. Ein Blick in die Geschichte macht zudem deutlich: in Hessen lassen sich schon seit Jahrzehnten militante und terroristische Aktivitäten beobachten.
Eine Dokumentation militanter und rechtsterroristischer Bestrebungen in Hessen in mehreren Teilen
Teil 1: Der Technische Dienst http://www.infobuero.org/2013/06/rechtsterroristische-bestrebungen-in-hessen-teil-1-der-technische-dienst/
Teil 2: Manfred Roeder http://www.infobuero.org/2013/07/rechtsterroristische-bestrebungen-in-hessen-teil-2-manfred-roeder/
Teil 3: Die Radikalisierung der extremen Rechten in den 1970ern http://www.infobuero.org/2013/09/rechtsterroristische-bestrebungen-in-hessen-teil-3-die-radikalisierung-der-extremen-rechten-in-den-1970ern/
Teil 4: Die Hepp-Kexel-Gruppe http://www.infobuero.org/2014/02/rechtsterroristische-bestrebungen-in-hessen-teil-4-die-hepp-kexel-gruppe/
Teil 5: Peter Naumann http://www.infobuero.org/2014/10/rechtsterroristische-bestrebungen-in-hessen-teil-5-peter-naumann/
Teil 6: Die 1990er http://www.infobuero.org/2015/01/rechtsterroristische-betrebungen-in-hessen-teil-6-die-1990er/