Gießen: „Sieg-Heil“ Rufe aus Burschenhaus!

Am 5. Juli 2013 waren in den Räumlichkeiten der Burschenschaft Germania Gießen einige Burschenschafter zusammengekommen. Nachdem am späten Abend zunächst einige Lieder gesungen wurden, donnerte am Ende eines Liedes ein dreifaches „Sieg Heil“ durch den Alten Wetzlarer Weg. Zahlreiche Besucher_innen eines Konzertes, das im gegenüberliegenden Autonomen Kulturzentrum AK44 stattfand, vernahmen diese Rufe klar und deutlich.

Ob die Germania an diesem Abend Besuch von anderen Burschenschaftern hatte und ob dieser in Verbindung mit dem am darauf folgenden Samstag in Marburg stattgefundenen Marktfrühschoppen stand, blieb unklar.

Der Marktfrühschoppen, ein alljährlich auf dem Marburger Marktplatz stattfindendes Volksfest, steht seit Jahren heftig in der Kritik. Beteiligt an der Organisation sind zahlreiche lokale Studentenverbindungen. Die Kooperierten dominieren seit Jahren zunehmend den Marktfrühschoppen. Kritisiert wird der Marktfrühschoppen primär wegen der Beteiligung der Marburger Verbindungen, die im Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB) organisiert sind.

Homepage der Burschenschaft Germania Gießen Quelle: www.burschenschaft-germania.com

„Gott, Freiheit, Ehre, Vaterland“ – Motto der Burschenschaft Germania Gießen
Quelle: www.burschenschaft-germania.com

 

Ein durch und durch völkischer Dachverband

Die DB ist gekennzeichnet von einem völkischen Nationalismus, Sexismus sowie gebietsrevanchistischen und geschichtsrevisionistischen Positionen. Etwa die Hälfte der derzeit knapp 100 Verbindungen gilt aufgrund ihrer Kontakte und Aktivitäten als extrem rechts. Sei es aufgrund der Mitgliedschaft von Neonazis in den Verbindungen sowie regelmäßigen Vortragsveranstaltungen mit Referent_innen der extremen Rechten in den Verbindungshäusern. Der mehrmalige Versuch zur Einführung eines „Arierparagraphen“, mittels dem nur so genannten „Volksdeutschen“ ohne Migrationshintergrund die Mitgliedschaft in einer Verbindung der DB gewährt werden sollte, sorgte seit 2011 immer wieder für mediales Aufsehen.

Als ein Paradebeispiel für eine extrem rechte Verbindung gilt die Gießener Burschenschaft Dresdensia-Rugia (DR), der der Ruf als NPD-Kaderschmiede anhaftet. Mehrere Mitglieder der DR stiegen seit Mitte der 1990er zu bundesweit führenden Parteivertretern auf. Prominente Mitglieder der DR sind die NPD-Landtagsabgeordneten im sächsischen Landtag, Arne Schimmer und Jürgen Gansel. Letztgenannter sorgte 2005 mit seiner „Bombenholocaust- Rede“ im sächsischen Landtag für einen bundesweiten Eklat. Zu diesem Zeitpunkt war auch der damalige Bundesvorsitzende der Jungen Nationaldemokraten, Stefan Rochow, Mitglied der DR. Mit Michael Hahn findet sich seit einigen Jahren auch ein Vorstandsmitglied des Landesverbandes der NPD Niedersachsen auf der Liste der Alten Herren wieder.

Immer wieder rechte Vorfälle

Auch die Burschenschaft Germania Gießen war über Jahrzehnte Mitglied in der DB. 2008 trat diese aufgrund der zunehmenden Dominanz der extrem rechten Verbindungen aus der DB aus. Die Entscheidung war für Kenner des Gießener Verbindungswesens überraschend. Hatte doch auch die Germania bis dato immer wieder die extrem rechten Tendenzen in der DB bestätigt und beste Kontakte zur DR gepflegt.

Mit Rolf Schlierer findet sich noch heute der Bundesvorsitzende der Republikaner in den Reihen der Alten Herren. In seiner Studienzeit war Schlierer u.a. Mitglied des Nationaldemokratischen Hochschulbundes, dem Hochschulverband der NPD, als auch Sprecher seiner Verbindung. 1992 referierte Schlierer im Rahmen einer Veranstaltungsreihe der neu-rechten Zeitung Junge Freiheit bei der DR. Bis zum Wintersemester 1989/90 war die Germania Mitglied in der Burschenschaftlichen Gemeinschaft, einem radikal völkischen Arbeitskreis innerhalb der DB.

Mit Martin Rost war 1999 ein Germane an der Gründung des Dachverbandes des Republikanischen Hochschulverbands beteiligt.

In Folge eines gemeinsamen Abends mit der DR im Haus der Germania wurden antisemitische Parolen von Burschenschaftern vor skandiert, die sich gegen den damaligen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, richteten (vgl. Gießener Allgemeine vom 10. Dezember 2002). Besucher_innen des Autonomen Kulturzentrums AK44 wurden als „schwule Kommunisten“ beschimpft, und ihnen gedroht: „wir sehen uns im Arbeitslager“. Die nachfolgende Strafanzeige gegen Unbekannt wurde von der Gießener Staatsanwaltschaft im Dezember 2002 eingestellt.

Die Burschenschaft Germania stand zu dieser Zeit aufgrund eines gemeinsamen „Waffenrings“ mit den genannten Verbindungen regelmäßig in Kontakt. Ein „Waffenring“ ist eine Arbeitsgemeinschaft, die dazu dient, gemeinsam Fragen des studentischen Fechten mit scharfen Waffen, der Mensur, zu klären.
Zur
DR ging die Germania erst im Jahr 2006 auf Distanz, als über die Rolle der DR als NPD-Kaderschmiede bundesweit medial berichtet wurde.

Modernisiert und dennoch rechtsoffen?

Spätestens mit dem Austritt der Germania aus der DB im Jahr 2008 konnte eine schleichende Liberalisierung der Verbindung festgestellt werden. In der Folge war man bemüht, sich als tolerant darzustellen. Im Vorfeld eines NPD-Aufmarsches, der 16. Juli 2011 in Gießen stattfand, distanzierte sich die Verbindung offen von jeder Form „radikaler Meinungsmache, Extremismus und Intoleranz“

Diese Tendenz scheint auch innerverbandlich Folgen zu haben. Entgegen der über Jahrzehnten geübten Praxis nimmt die Germania nunmehr auch „nichtdeutsche Bewerber“ auf. Unverändert erfüllt jedoch die Germania noch immer jene undemokratischen Kriterien, die den Großteil des Verbindungswesen ausmachen: sie ist weiterhin ein konservativer Männerbund, der seine Mitglieder mittels überkommener Rituale sozialisiert, um sie als vermeintlich zukünftige Elite über das Seilschaftenprinzip in einflussreiche Positionen zu entsenden.

Für Neonazis wie Fabian Dehoust ist die Germania jedoch offenbar zu liberal geworden. Er trat aus der Verbindung u.a. aufgrund „überzogener politischer Korrektheit“ aus. Das aktive Mitglied der Jungen Nationaldemokraten trat daraufhin der DR bei.

Mit Blick auf die beschriebene Entwicklung stellt sich nun die Frage, ob die Vorfälle vom 5. Juli 2013 auf das Konto der Besucher der Germania gehen, oder diese doch aus dem internen Kreise hervorgingen. Es stellt sich hierbei auch die Frage: wie rechtsoffenen ist die Gießener Verbindung noch?