Hooliganszene, Veranstalter von RechtsRock-Konzerten, Reisekader, Aufbau von Parteistrukturen, Anti-Antifa und „National Befreite Zonen“, kommunale Verankerung – dies sind Stationen aus dem Leben des Sascha Wagner.
Am 12. Dezember 2011 attackierte eine Gruppe rechter Fußballfans aus dem Umfeld der Alemannia Supporters während des Zweitligaspiels Alemannia Aachen gegen BSG Wismut Aue den Block der als antirassistisch bekannten Gruppe Aachen Ultras 99. Der Vorfall, der als neuer Höhepunkt rechter Übergriffe innerhalb der Aachener Fanszene gelten muss, sorgte für mediales und politisches Aufsehen. In der Berichterstattung und den Stellungnahmen dazu fiel immer wieder ein Name, der die Entstehung und die Problematik der rechten Fanszene auf dem Tivoli, dem Aachener Fußballstadion, verkörpert: Sascha Wagner.
Dabei überrascht es nur auf den ersten Blick, dass ein rheinland-pfälzischer NPD-Funktionär, der knapp 300 Kilometer von Aachen entfernt wohnt, dort eine so große Bedeutung hat. Bei näherem Hinsehen erweist sich das jedoch als keineswegs zufällig.
Von der Kurve in die Partei
Der 1972 geborene Sascha Wagner stammt aus Herzogenrath bei Aachen. Verfolgt man die „Karriere“ des umtriebigen Reisekaders zurück, so liegt der Ausgangspunkt seiner Aktivitäten in der rechten Hooligan-Szene von Alemannia. In einem Interview mit der neurechten Zeitung Junge Freiheit behauptet Wagner, sich bereits Ende der 1980er Jahre im Stadion der rechten Skinhead-Szene angeschlossen zu haben. Recht schnell zeichnete sich allerdings ab, dass sich sein Tatendrang nicht nur auf das Stadion beschränkte. Anfang der 1990er Jahre wurde Wagner Mitglied der Jungen Nationaldemokraten (JN), die ihre Bundesgeschäftsstelle in Stolberg hatten. Vom gleichen Gebäude aus wurde auch die Wiking-Jugend geleitet, bis sie 1991 nach Berlin verlegt und 1994 verboten wurde. Der gelernte Stahlbauschlosser Wagner war damals als Kader der JN bzw. der NPD aktiv. Neben einer kurzzeitigen Funktion als Landesvorsitzender der JN in NRW war er auch im JN-Bundesvorstand tätig und wurde 1995 JN-Bundesgeschäftsführer. Die Stadionkurve blieb jedoch nicht nur als Freizeitbeschäftigung ein wichtiger Bezugspunkt für ihn; er versuchte auch weiterhin, im Fußball-Umfeld neue „Kameraden“ zu rekrutieren.
Strukturen schaffen
Wagner blieb bis Ende der 1990er Jahre eine treibende Kraft der Aachener Nazi-Szene, entpuppte sich aber recht schnell als bundesweiter Reisekader, der sich um den Aufbau von Strukturen in anderen Bundesländern bemühte und dafür des Öfteren seinen Wohnort wechselte. Besonders in Süd- sowie in Ostdeutschland leistete Wagner Aufbauarbeit, organisierte Aufmärsche, leitete den Ordnerdienst der NPD und trat auch selbst als Anmelder auf. Schließlich verlagerte er seinen Wohnsitz und seinen Arbeitsschwerpunkt nach Rheinland-Pfalz, übernahm dort den Landesvorsitz der JN und betreute verschiedene JN-Gruppen. Vor Ort versuchte er, durch Präsenz in öffentlichen Jugendzentren Kontakte zu rechten Jugendlichen zu knüpfen. Wie eine erfolgreiche „Betreuung“ aussehen kann, zeigte sich Ende der 1990er Jahre in der Region Westerwald: Wagner schuf das Label Nationaler Widerstand Westerwald als Vorfeldorganisation der NPD, um Jugendliche einzubinden.
Dabei ging er auf rechtsoffene Jugendliche zu und brachte ihnen bei gemeinsamen Besuchen von Aufmärschen und RechtsRock-Konzerten eine rechte Lebenswelt näher. Ein wesentlicher Teil der Jugendlichen war in dem 2001 gegründeten NPD-Kreisverband Westerwald und später in der Kameradschaft Westerwald aktiv. Bei einem kurzzeitigen Aufenthalt in Koblenz versuchte Wagner, auch in einer größeren rheinland-pfälzischen Stadt Fuß zu fassen. Er traf dort allerdings auf offensive antifaschistische Gegenwehr und zog sich daraufhin wieder in den Westerwald und in andere ländliche Gebiete zurück. Unter dem Motto „Der Westerwald bleibt deutsch“ initiierte Wagner 2001 eine JN-Demonstration in Altenkirchen, zu der rund 120 Personen kamen – darunter auch Vertreter_innen der „Freien Nationalisten“ aus Hessen und NRW. Entgegen der Ankündigung folgten allerdings keine weiteren Aufmärsche. Grund dürfte auch hier der starke antifaschistische Protest gewesen sein. Zu der Demonstration waren jedoch genau jene Strukturen der „Freien“ aus NRW um Christian Malcoci, Ralph Tegethoff und Sven Skoda angereist, die ab 2003 einen jährlich stattfindenden Aufmarsch im nördlichen Rheinland-Pfalz etablierten – allerdings ohne Sascha Wagner. Dieser hatte die Region 2003 bereits verlassen.
RechtsRock
Insbesondere Musik spielt für Wagner eine wichtige Rolle, um Jugendliche für die Neonazi-Szene zu rekrutieren. Bereits 1992 sorgte ein von ihm organisiertes Konzert mit Frank Rennicke im Raum Aachen für Aufmerksamkeit; es folgten weitere „Liederabende“
und Konzerte. Ende der 1990er fungierte Wagner als Mitherausgeber des RechtsRock-Magazins Neue Doitsche Welle (NDW), das im extrem rechten Europa Vorn/Signal-Verlag von Manfred Rouhs erschien. In der Rhein-Neckar-Region und in der Pfalz fand 2001 und 2002 eine regelrechte Welle an Konzerten statt, die Wagner zusammen mit dem Ludwigshafener Nazi-Skin Christian Hehl organisierte. Bis zu 600 Neonazis besuchten die Events. Wagner und Hehl hatten einen SMS-Verteiler eingerichtet, der angeblich 500 Handy-Nummern umfasste – damals eine technische Neuheit. Als Mitorganisator von Rechts-Rock-Konzerten im gesamten Bundesgebiet machte sich Wagner einen Namen; gute Kontakte bestehen insbesondere zur rechten Hooliganband Kategorie C.
Wegzug
Im Jahr 2002 sollte im pfälzischen Elmstein unter der Federführung von Wagner ein NPD-Schulungszentrum Südwest entstehen. Nach kurzer Nutzung brannte das Haus in der Nacht vor der geplanten Unterzeichnung des Kaufvertrages aus. Wagner zerstritt sich mit dem Landesverband um den damaligen Vorsitzenden Martin Laus und zog nach Sachsen. Dort war er 2004 maßgeblich für den NPD-Landtagswahlkampf verantwortlich und arbeitete im Verlagshaus der Deutschen Stimme in Riesa. Mit dem Einzug der NPD in den sächsischen Landtag 2004 wurde Wagner persönlicher Mitarbeiter des Landtagsabgeordneten Alexander Delle, den er aus der gemeinsamen Zeit im JN-Bundesvorstand kannte. Bundesweit geriet Wagner durch die Ausrichtung verschiedener RechtsRock-Events wieder in die Schlagzeilen. So organisierte er unter anderem vor dessen Haftantritt das Abschiedskonzert von Michael Regener alias Lunikoff, dem Sänger der Band Landser, zu dem im April 2005 mehr als 1.000 Neonazis ins thüringische Pößneck kamen.
Zurück in Rheinland- Pfalz
Mit der Neuorganisierung des rheinland-pfälzischen NPD-Landesverbandes um Peter Marx im Jahr 2005 kehrte Sascha Wagner nach Rheinland-Pfalz zurück. Die enge Zusammenarbeit mit eher subkulturell geprägten „Freien Kameradschaften“ entsprach seiner Vorstellung von Parteiarbeit. Bei der Bundestagswahl im gleichen Jahr trat er als Direktkandidat im Wahlkreis Pirmasens-Zweibrücken an und erhielt 3,3 Prozent der abgegebenen Stimmen. Zusätzlich zum Posten des Wahlkampfleiters wurde er im Januar 2006 in den Landesvorstand gewählt. Nach der Pleite in Elmstein versuchte die NPD damals erneut, in Rheinland-Pfalz ein „Nationales Zentrum“ zu errichten. Wagner sollte dabei eine zentrale Rolle spielen. Im Sommer 2006 mietete er die ehemalige Gaststätte Zur Burg in Altleiningen an – mit der Ankündigung, das Gebäude für die nächsten fünf Jahre nutzen zu wollen. Das überraschte, da nur wenige Kilometer entfernt in Kirchheim ein „Nationales Freizeit- und Schulungszentrum“ von Neonazis aus dem Spektrum des Aktionsbüro Rhein-Neckar und der NPD gemeinsam genutzt wurde. In Altleiningen gab es dann auch kaum erwähnenswerte Aktivitäten. Ende 2006 vermeldete die NPD plötzlich, sie habe die alte Dorfschule in Morbach-Gonzerath im Hunsrück als Schulungszentrum auserkoren. Innerhalb kürzester Zeit verlegte Wagner seinen Zweitwohnsitz nach Morbach. Im Schinderhannes-Zentrum sollten in erster Linie potenzielle Kandidat_innen der NPD auf die Kommunalwahl 2009 in Rheinland-Pfalz vorbereitet werden. In der Region regte sich allerdings starker Widerstand gegen das NPD-Zentrum, so dass die Gemeinde von ihrem Rückkaufrecht Gebrauch machte.
Anti- Antifa und Gewalt
Seit die Junge Freiheit ihn im Sommer 2000 interviewte, gilt ausgerechnet Wagner in Teilen der Öffentlichkeit als Saubermann. Er hatte sich in der Zeitung mit den Worten zitieren lassen: „Wenn jemand Gewalt ausübt, gehört er nicht zu uns“. Dass ihm dies tatsächlich irgendjemand glauben konnte, ist verwunderlich. In einem JN-Schreiben hatte Wagner 1994 verkündet: „Auch wir haben nun beschlossen mit unseren Gegnern den demokratischen Dialog zu beginnen“. Darunter verstand er den Aufbau eines Anti-Antifa-Archivs in der JN-Bundesgeschäftsstelle; er rief die „Kameraden“ dazu auf, Informationen zu „bekannten Treffpunkten, Fotos, Adressen usw.“ zu sammeln. Auch war Wagner an der Schaffung der „national befreiten Zone“ in Wurzen (Sachsen) beteiligt. In der von ihm herausgegebenen Zeitschrift NDW erschien 1998 ein Artikel, in dem die Entwicklung in Wurzen als Modell einer „gelungenen lokalen Kulturrevolution“ verherrlicht wurde. Als dort 2004 ein Sprengstoffanschlag auf einen demokratischen Verein verübt wurde, konnte Wagner, der sich um den Wahlkampf der sächsischen NPD kümmerte, keine Beteiligung nachgewiesen werden.
Anti-Antifa scheint für Wagner jedoch ein wichtiges Thema geblieben zu sein. Wieder zurück in Rheinland-Pfalz, organisierte er 2009 einen Bus aus der Westpfalz zum Naziaufmarsch nach Dresden. Auf der Rückfahrt wurde ein DGB-Bus angegriffen, ein Gewerkschafter erlitt schwere Kopfverletzungen. Tatverdächtige konnten nicht ermittelt werden. In einer Pressemitteilung teilte die NPD mit, man habe sich lediglich „gewehrt“, dies sei „vertretbar“.
Familienglück und kommunale Verankerung?
In der Westpfalz wollte Wagner es zunächst etwas ruhiger angehen lassen. Er heiratete, seine Frau brachte zwei Mädchen mit in die Ehe. Als stellvertretender Landesvorsitzender hielt sich Wagner in der NPD-Geschäftsstelle in Dahn auf. Einen Prozess wegen Vortäuschung eines Diebstahls überstand er relativ unbeschadet, jedoch gab es 2008 mit dem Weggang von Peter Marx einen Führungswechsel im Landesverband. Eine mehrjährige Schlammschlacht zwischen „Völkischen“ und „Subkulturellen“ begann: Die neue Vorsitzende Dörthe Armstroff löste die NPD-Geschäftsstelle in Dahn auf, Wagner wurde nicht wieder in den Landesvorstand berufen. Einschlägige Neonazi-Portale beschimpften ihn als „korruptes Schwein“, „unterste Unterschicht und Assi“, der „von der Partei leben“ würde. Auch mit Christian Hehl verkrachte er sich. Mit den Kommunalwahlen von 2009 setzte Wagner auf die kommunale Verankerung der NPD und zog in den Kreistag Südwestpfalz sowie den Gemeinderat Dahner Felsenland ein.
Seit April 2010 hat Markus Walter für den NPD-Kreisverband Westpfalz in Herschberg ein ehemaliges Café angemietet, das Haus der Demokratie. Dieser Name sorgte erneut für Ärger mit der völkischen Fraktion um das Aktionsbüro Rhein-Neckar. Behörden hingegen waren zufrieden, dass sie Wagner in seinem „Demokratiehaus“ ohne viel Aufwand im Blick behalten konnten, und ließen ihn agieren, was nach einiger Zeit zu Unmut in Teilen der Zivilgesellschaft führte: Manche waren wenig davon begeistert, dass sich ein bundesweit bekannter neonazistischer Kader vor ihrer Haustür häuslich niedergelassen hatte.
Sackgasse Westpfalz
Mittlerweile gibt es stärkeren Gegenwind für Wagner, sogar in der Pfalz, die unter „Kameraden“ gerne als „der Osten des Westens“ bezeichnet wird. Für das „Haus der Demokratie“ wurde im Februar 2012 ein Nutzungsverbot als Parteiheim verhängt. Die NPD versucht es zu umgehen, indem sie das „Wohnzimmer des Kreistagsabgeordneten Sascha Wagner“ als Veranstaltungsort nennt. Ganz unberechtigt ist dies nicht – die Familie lebt mittlerweile tatsächlich dort. Zudem wurde es Wagner richterlich verwehrt, im Januar an der Bürgermeisterwahl der Verbandsgemeinde Wallhalben teilzunehmen. Kreispressesprecher Markus Walter erklärt, der „vorübergehend krankheitsbedingte Hartz IV-Empfänger Wagner“ habe darauf verzichtet, sich durch weitere Instanzen durchzuklagen. Offenbar gibt es auch Ärger mit dem Jugendamt, was im völkischen Flügel der NS-Szene zu Protesten führen dürfte.
Wagner versucht nun, der rechten Szene in der Westpfalz auf regionaler Ebene etwas zu bieten, und vermeldet, dass möglicherweise Frank Rennicke zur Bürgermeisterwahl der Verbandsgemeinde Zweibrücken-Land antreten werde – und zwar 2014. Letztes Jahr versuchte Wagner, durch Äußerungen wie „88 – Herschberg Helau“ im Gespräch zu bleiben. Ob er damit die „Kameraden“ zusammenhalten kann, darf bezweifelt werden. Auch parteiintern dürfte er sich mit seiner letzten Aktion kaum Freude gemacht haben: Er veröffentlichte auf seiner Homepage pfalz-stimme die Namen des kompletten neuen Landesvorstands. Ob sich Wagner damit in Zeiten „seriöser Radikalität“ für höhere Aufgaben empfiehlt, das darf getrost bezweifelt werden.
Von Tobias Hoff und Andreas Stein
Erschienen in: Lotta – Antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen, #47 | Frühjahr 2012
Artikel als pdf: Sesshaft geworden?! Neonazis unter der Lupe: Sascha Wagner