„1 Million Tote rufen zur Tat“, so steht es auf dem Front-Transparent des alljährlich in Remagen stattfindenden „Trauermarschs“. In diesem Jahr ließen sich jedoch nur etwa 160 Neonazis „zur Tat“ – oder auf die Straße – rufen. Damit ging auch bei diesem regelmäßig stattfindenden Aufmarsch die Teilnehmendenzahl in diesem Jahr zurück, auch wenn die OrganisatorInnen von „über 200 nationale(n) Aktivisten“ sprechen.
In den letzten Jahren hatte das Aktionsbüro Mittelrhein, die in dieser Region führende Struktur, den Aufmarsch organisiert. Die Mitglieder dieser Gruppe müssen sich zur Zeit jedoch vor Gericht wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung verantworten und viele der Aktivisten sind inhaftiert. Daher standen sie nicht für die Organisation zur Verfügung.
Laut Eigenangaben übernahmen „Kameraden aus dem Rheinland“. Unterstützung gab es aus Dortmund: Die Dortmunder Untergliederung der Worch-Partei Die Rechte stellte Lautsprecherwagen und Anlage zur Verfügung. Bis August dieses Jahres trat diese Gruppierung noch als „Nationaler Widerstand Dortmund“ auf. Nach dem Verbot traten die Mitglieder einfach in Die Rechte ein.
Parteienkonkurrenz?
Anmelder des Aufmarschs war wie in den vergangenen Jahren auch Christian Malcoci. Er übernahm auch die Versammlungsleitung, wurde jedoch von Nadine Braun (NPD-Kreisverband Mettmann/ Düsseldorf und Landesvorstandsmitglied) unterstützt, die als stellvertretende Versammlungsleiterin die Auflagen verlesen durfte.
Die teilnehmenden Nazis reisten hauptsächlich aus NRW an, darunter etliche aus den im August verbotenen Kameradschaften aus Dortmund, Hamm und Aachen. Dem gegenüber war die Beteiligung aus Rheinland-Pfalz selbst eher gering. Insbesondere die rheinland-pfälzische NPD glänzte durch Abwesenheit. Ob dies an der Konkurrenz durch Die Rechte lag, die augenscheinlich einen größeren Beitrag zum Aufmarsch leistete?
Aus Baden-Württemberg reiste eine Gruppe mit Transparent der Aktionsgruppe Heilbronn an, auch eine kleine Gruppe der saarländischen Sturmdivision Saar fand den Weg nach Remagen. Die Düütschen Deerns waren mit einem Banner vertreten, das die Aufschrift trug: „Menschlichkeit nennt Ihr das Leichentuch, das Ihr über unser Volk gebreitet“.
Das Front-Transparent unterschied sich ein wenig von dem der letzten Jahre. Scheinbar musste ein neues erstellt werden, da das bisherige bei einer der zahlreichen Razzien und Beschlagnahmungen des vergangen Jahres abhanden gekommen sein dürfte.
Auch die Dortmunder brachten ein Transparent mit. Graphisch ist es identisch mit dem, das früher mitgebracht wurde und Besitz des NWDO gewesen sein und nun in einem Behördenkeller lagern dürfte. Lediglich die Aufschrift wurde geändert und lautet nun: „Wir gedenken der Toten unseres Volkes“. Eine klarere Botschaft als das bisherige „Ein Volk, das seine Vergangenheit nicht ehrt, hat keine Zukunft“.
Die „Fackel der Wahrheit“…
Mit einiger Verzögerung begann die Veranstaltung mit der Begrüßung durch Malcoci und dem Verlesen der Auflagen durch Braun und setzte sich Richtung Rheinufer zur Kapelle der Schwarzen Madonna in Bewegung. Anstelle des Kranzes wie in den vergangenen Jahren wurde diesmal ein Holzkreuz durch die Straßen getragen, das bereits bei dem Aufmarsch am 20.11.2004 in Nastätten (Rhein-Lahn-Kreis) im Einsatz war.
Die Kapelle erinnert an ein alliiertes Kriegsgefangenenlager der Alliierten nach dem 2. Weltkrieg. Die Nazis versuchen, die dort Gestorbenen als zu Unrecht Ermordete darzustellen und damit „den Deutschen“ den ersehnten Opferstatus zuzusprechen. Gleichzeitig soll die Grausamkeit der Alliierten dargestellt werden und die Schuld „der Deutschen“ faktisch relativiert werden. Über die „deutschen“ Opfer dürfe jedoch nicht geredet werden (deutsche Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Antifaschist_innen, etc. zählen für sie nicht als Deutsche).
Der jährliche Aufmarsch soll dem entgegenwirken: „Helfe auch Du, die Schweigespirale zu brechen und die Wahrheit ans Licht zu bringen. Dort, wo aus der Lüge das Fundament für die Zukunft unseres Volkes gebildet werden soll, gilt es, die Fackel der Wahrheit zu entzünden. Dort, wo die Lüge zerbricht, wird der Grundstein für eine bessere Zukunft gelegt“, so der Aufruf.
Sangesfreuden?
Neben der – wie in jedem Jahr verhüllten – Kapelle fand die erste Kundgebung statt. Zuerst trat Manfred Breidbach (NPD Düsseldorf) ans Mikrofon. Er wetterte gegen „den verkommenen und verlogenen Zeitgeist“. Als Grund für den Niedergang der Deutschen und das angebliche Verbot eines Gedenkens an deutsche Soldaten machte er eine „Gegenauslese durch Weltkriege“ aus. Die besten Männer seien in den Kriegen gefallen, übrig geblieben seien nur „Feiglinge, Drückeberger“ und „charakterlose Geschäftemacher“. Zu deren Beschreibung nutzte Breidbach immer wieder Begriffe aus dem Vokabular des Antisemitismus, meinte auch einen „herrschenden Geschäftsplan der kapitalistischen Schachererbande“ erkennen zu können.
Ihm folgte ein Redebeitrag von Ralph Tegethoff, der auch die „Totenehrung“ leitete. Daran schloss sich das „Lied vom guten Kameraden“ an. Die Darbietung ließ jedoch große Zweifel an Gesangsbegeisterung und Textsicherheit der „nationalen Bewegung“.
Der Rückweg wurde von einer zweiten Zwischenkundgebung unterbrochen. Hier nuschelte Michael Brück als Vertreter des Nationalen Widerstands Do … – Verzeihung, der Partei Die Rechte aus Dortmund, seine Rede ins Mikro. Er beklagte, die Deutschen seien „zu Toten zweiter Klasse geworden“, während „die gleichen Täter, die damals die Rheinwiesenlager errichteten, … ungestört auch im 21. Jahrhundert weiter“ mordeten, in „Afghanistan, Irak oder Libyen“. Auch ein Verweis auf den NSU durfte nicht fehlen: er und seine „Kameraden“ widersprächen doch gewiss dem Bild „von randalierenden Kriminellen, die ganze Städte verwüsten und auf der Suche nach Dönerbesitzern sind“.
Nach Brück folgte Rene Laube – Führungsperson der verbotenen Kameradschaft Aachener Land – mit einem Spendenaufruf für die inhaftierten „Kameraden“. Den letzten Redebeitrag hielt Matthias Behrens, der stellvertretende Landesvorsitzende der NPD Niedersachsen.
Wieder am Bahnhof angekommen war nochmal musikalisches Geschick gefordert, das „Deutschlandlied“ mit seinen drei Strophen sollte angestimmt werden. Dies lief ähnlich holprig ab wie das Ständchen für den guten Kameraden und geriet zum unfreiwilligen Kanon, da die eine Hälfte etwa eine halbe Minute früher durch war als die andere.
Senior_innen gegen rechts
An einigen Straßenkreuzungen schafften es Gegendemonstrant_innen in Sicht- und Hörweite des Aufzugs. Dem ernsten Anlass angemessen versuchten die Nazis dies zu ignorieren. Sichtbar verwundert waren sie jedoch, als die Route an einem Senior_innenwohnheim vorbei führte. Aus dem Haus schallte laute Musik und von einem Balkon hing ein großes Transparent des Seniorenbeirats der Stadt Remagen. Abgebildet ist eine Figur, die mit ihrem Gehstock ein Hakenkreuz kaputt macht …